SWR2 Wort zum Tag

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Die Kathedralen und Kirchtürme haben Konkurrenz bekommen in den Städten. Am Anfang waren es die Paläste und Tempel, im 19. Jahrhundert die Bahnhöfe, im 20. Jahrhundert die Banken- und Verwaltungstürme, im 21. Jahrhundert sind es die außergewöhnlichen Museums- und Theaterbauten.

Natürlich gibt es sie auch heute nach wie vor: die großen Kirchenbauten als jahrhundertealte architektonische Signaturen einer Stadt. Berühmt sind die Dresdner Frauenkirche, der Kölner Dom, der Hamburger Michel. Aber daneben finden sich eben auch neue Stadtwahrzeichen wie das Guggenheim-Museum in Bilbao, die Tate Gallery in London, der historische Hafenspeicher in Hamburg. Diese neuen Gebäude erheben in der Architektursprache denselben Anspruch
wie einst die großen Kathedralen: Sie sind von Bedeutung, und sie stehen für einen Gesamtzusammenhang der Stadtgesellschaft.

Sind diese neuen städtischen Wahrzeichen auch in inhaltlicher Hinsicht die Nachfolger der Kirchen und ihrer Symbolkraft für die Frage nach dem Sinn des Lebens?

Gewiss: Bilder, Konzerte, Theater sind großartige Inszenierungsmöglichkeiten für die Grundfragen des Lebens. Aber ich erlebe: Die Kirchen sind und bleiben die Orte, in die Menschen ihre Fragen und ihre Sorgen, und auch ihren Dank und ihr Glück hinein tragen.

In den Innenstädten der großen Städte ist das unmittelbar zu spüren: Sobald die Türen der Kirchengebäude offen stehen, sind die Menschen drin. Ich kenne diese Situation gut aus der Stuttgarter Stiftskirche. Die Türen der Stiftskirche sind von morgens bis abends geöffnet. Die Menschen kommen herein, neugierig, manchmal unsicher, aber auch zielstrebig. Sie setzen sich in die Kirchenbank. Vielleicht übt gerade einer der Musiker an der Orgel. Dann ist der Kirchenraum nicht nur mit Licht und Schatten, sondern auch mit Klang erfüllt. Manche
Besucher sehen so aus, als beten sie. Andere wirken erschöpft von ihren Wegen durch die Stadt oder ihrem Lauf von einem Termin zum nächsten. Wieder andere strahlen Energie und Interesse aus.

Ich erlebe fast täglich: Die Kirchengebäude sind und bleiben besondere Orte in den Städten. Generationen von Gebeten und Liedern füllen ihre Räume. Glück und Leid von Menschen ist
in ihnen zur Sprache gekommen und wurde von ihnen umfangen. Mitten im Gewühl der
Städte geben sie der Sehnsucht nach einem geistlichen Leben Raum. Vielleicht kommen
Sie heute an einer offenen Kirchentür vorbei? Dann: herzlich willkommen!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4158
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