SWR2 Wort zum Tag

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Viel weiß man nicht über Jesus von Nazareth. Eine Biografie über ihn lässt sich nicht anfertigen. Die Quellenlage ist dafür einfach zu schmal. Wovon man aber wohl sicher ausgehen kann, ist dies: Jesus war vom Glauben an einen Gott überzeugt, der sich den Menschen gegenüber wie ein liebevoller Vater verhält. Er versuchte, seinen Zeitgenossen diesen Glauben durch bildhafte Erzählungen und durch eine menschenfreundliche und offene Umgangsweise nahe zu bringen. Auch Jesu Heilungen an Menschen gehö-ren dazu, die – an Leib und Seele gebrochen – fertig waren mit dem Le-ben.
Lange Zeit hat man diese in den Evangelien erzählten Begebenheiten als Mirakel missverstanden. Das Bild, das auf diese Weise von Jesus entstand, trügt. Oftmals steht nämlich kein Zauber im Hintergrund seiner Heilungs-kraft, sondern nur eine einzigartige Mitmenschlichkeit, voller Sensibilität und Anteilnahme. Eine Mitmenschlichkeit, die sich nicht an Grenzen stieß – weder an derjenigen zwischen Volksgenossen und Ausländern, noch an der zwischen Gläubigen und Ungläubigen; nicht an der Grenze zwischen krank und gesund – und nicht an der zwischen Mann und Frau.
Das ist das Wunder in diesen Geschichten – dass Jesus so befreit von Vor-urteilen auf Menschen zugehen konnte, und dass von dieser Unvoreinge-nommenheit wirklich Heilendes ausging.
Eine Geschichte aus dem Neuen Testament erzählt von einer kurzen, eher unvermuteten Begegnung, die eine alleinstehende Frau mit Jesus hatte. In der Bibel hat sie keinen Namen. Sie wird nur als „Frau mit einem ge-krümmten Rücken“ bezeichnet. Ein namenloses Schicksal, wie es damals und seither Tausende gegeben hat. Die Krankheit, die den Rücken dieser Frau krumm gemacht hat, wird nicht näher diagnostiziert – wenn es denn überhaupt eine Erkrankung im physischen Sinn war!
Die Geschichte betont, es sei ein „Geist“ gewesen, der die Frau nieder-drückte, so dass sie sich nicht mehr aufrichten konnte. Es war ihr eigener Geist, der sie auf diese Weise buchstäblich deprimierte. Vielleicht eine Sor-ge, die sie nicht mehr loswurde. Eine Schuld, die sie nicht tilgen konnte. Vielleicht das unbezwingbare Gefühl, nichts wert zu sein.
Jesus rief sie zu sich. Er sah sie an. Er legte ihr seine Hände auf, berührte ihren gebeugten Rücken.
Das ist keine Magie, sondern eine Geste der Zuwendung und Stärkung. Je-sus spricht Menschen Freiheit und Selbstbewusstsein zu. Das genügt, um diese gebrochene Frau wieder aufzubauen. Es genügt, um Menschen einen aufrechten Gang zurückzugeben. Vor sich selbst und vor anderen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4143
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