SWR2 Wort zum Tag

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Juli – Sommerzeit, für viele Menschen Ferienzeit. Der Schriftsteller Erich Kästner hat dem Monat Juli ein Gedicht gewidmet. „Still ruht die Stadt“, so beginnt es. „Es wogt die Flur. Die Menschheit geht auf Reisen oder wandert sehr oder wandelt nur. Und die Bauern vermieten die Natur zu sehenswerten Preisen. Sie vermieten den Himmel, den Sand am Meer, die Platzmusik der Ortsfeuerwehr und den Blick auf die Kuh auf der Wiese.“
Spott über den Tourismus? Ein bisschen schon; auch darüber, dass die Schönheit der Natur zum Wirtschaftsfaktor geworden ist. Aber Kästners Zeilen sind tiefsinniger. Sie sprechen von der Suche nach Lebenssinn. Die Natur kann manches in uns zum Schwingen bringen, was verstummt zu sein scheint. Sie lässt uns Geheimnisse ahnen, die uns staunen lassen, obwohl wir sonst „nicht viel von Rätseln halten“, wie Kästner sagt. Die Menschen sehnen sich nach einer – scheinbar – heilen Natur zurück, der sie fremd geworden sind und die ihnen fremd geworden ist. Sie suchen dabei nach dem eigenen, nach dem so oft entgleitenden Selbst, Die Sehnsucht nach der Natur ist Ausdruck dieser Suche nach dem eigenen Selbst. Kästner stellt aber auch ein wenig resigniert fest, dass diese Rückkehr zur Natur eine Illusion ist: Die Natur ist keine Idylle mehr, und wir nehmen unsere Unrast, unsere ungelösten Probleme mit, wohin immer wir auch reisen. „Limousinen rasen hin und her“, sagt Kästner weiter, „und finden und finden den Weg nicht mehr zum Verlorenen Paradiese.“ Wo finden wir noch Erfüllung und Sinn?
Da sagt Kästner etwas sehr Schönes: „Einen Steinwurf von hier beginnt das Märchen. Verborgen im Korn, auf zerdrücktem Mohn ruht ein zerzaustes Liebespärchen. Hier steigt kein Preis, hier sinkt kein Lohn. Hier steigen und sinken die Lerchen.“
Es ist das uralte Geheimnis: wo Menschen einander in Liebe begegnen, scheint Lebenssinn auf. Ein bisschen wenigstens vom verlorenen Paradies lässt sich ahnen. Man muss dazu gar nicht weit reisen: „Einen Steinwurf von hier beginnt das Märchen“, sagt Erich Kästner. Ich wünsche Ihnen in dieser Urlaubszeit Erfahrungen von Liebe, Begegnungen, die Sie spüren lassen, wie schön und sinnvoll das Leben sein kann. Ob Sie reisen oder hier bleiben: Es spielt keine Rolle, wo Sie sich aufhalten. Sie können es überall erfahren.
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