SWR4 Abendgedanken RP

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Menschen ziehen zu – aus anderen Ländern, aus anderen Orten. Vera Brandt kam von Berlin auf’s Dorf, nach Winzenheim bei Bad Kreuznach.

Ich hatte es auch schwer das erste Jahr in Winzenheim. Die Leute sind völlig anders. Man muss da sich schon sehr bemühen, um Kontakt zu haben.


1. Teil

So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. (Eph 2,19) So einladend werden schon im Epheserbrief des Neuen Testamentes Menschen angesprochen, in einer neuen Umgebung heimisch zu werden. überall wo christliche Gemeinden entstanden, gab es Fremde, die aus fremden Ländern, Religionen und Kulturen dazukamen. Das ist bis heute so geblieben. Und deshalb ist es von den Anfängen bis heute ein Kennzeichen christlicher Gemeinden, offen und einladend zu sein. In unserem Ort Winzenheim bei Bad Kreuznach gilt das in ganz besonderer Weise. Denn über 3000 neue Einwohner kamen in den vergangenen vier Jahrzehnten in unserem Ort dazu – mehr als ein Drittel aus ganz verschiedenen Ländern. Andere kommen aus der näheren Umgebung, um ihren Ruhestand am Hunsrückrand zu genießen oder sie kommen aus gesundheitlichen Gründen. Damit hat sich die Zahl der Einwohner vervierfacht.
Sicher ist es für eine Kirchengemeinde nicht einfach, sich einer neuen Zeit zu stellen und solche Veränderungen mitzutragen. Die Anfänge waren schwierig. Aber mit der Zeit haben sich doch sehr schöne und mutmachende Initiativen verfestigt und bestimmen das Leben in der Gemeinde mit.
Wie zum Beispiel das Ökumenische Kinder- und Jugendhaus der Gemeinde. Täglich treffen sich die Kinder, dort und da spielt die Herkunft nun wirklich keine Rolle mehr. Gemeinsam entdecken die Kinder dort ihre Heimat neu. Gerade Kinder, die aus Osteuropa oder aus dem Nahen Osten zu uns kamen, haben mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen, z.B. in der Schule. Nadine Kistner ist 15 Jahre alt, wurde im vergangenen Jahr konfirmiert und hat ihr Engagement in dieser Arbeit gefunden.

Mir macht die Arbeit in der Hausaufgabenhilfe total viel Spaß, da ja man auch sieht, dass die Kinder sich freuen. Es sind hauptsächlich Kinder mit Problemen mit der deutschen Sprache, da sie zu Hause wenig deutsch sprechen, fast gar kein deutsch sprechen. Ich find das total wichtig, weil man da merkt, dass man auch gebraucht wir.

Eine andere Initiative der Kirchengemeinde versucht Frauen aus verschiedenen Ländern und Kulturen mit Einheimischen zusammenzubringen. Im gemeinsamen Tun und in gemeinsamen Gesprächen lernt man sich hier besser kennen und lernt voneinander. Freundschaften entstehen. Helga Feilen, Mitglied dieses interkulturellen Kreises, erinnert sich an den Anfang:

Es versammelten sich 30 bis 40 Frauen, die Interesse an solch einem Kreis hatten. Frauen haben sich getroffen, haben für andere gekocht, Rezepte ausgetauscht. Der Fastnachtsverein stellte sich vor, der Musikverein stellte sich vor, die Kirchen stellten sich vor. Frauen jeden Alters und jeder kirchlichen Orientierung konnten sich dort treffen. Es war ein ganz niederschwelliges Angebot, so dass alle Frauen Zugang finden konnten, wenn sie es wollten.

So versucht die evangelische Gemeinde von Winzenheim, den neu Zuziehenden entgegenzukommen. Auch die Bibel erzählt von Wegzügen und Neuanfängen.


2. Teil

Vertreibung, Flucht und Suche nach einer neuen Heimat. Das ist für viele Menschen in der Welt heute Alltag. Ein Blick in die Bibel zeigt: auch dort gibt es viel Bewegung.
Adam und Eva fliehen aus dem Paradies. Kain flüchtet aus Angst vor Rache. Der alte Noah flieht vor dem Regen. Abraham und Sara müssen sich im Alter noch einmal aufmachen und woanders neu anfangen, weil Gott es will. Jakob flieht, weil er seinen Bruder Esau betrogen hat. Josef will gar nicht weg, wird aber von seinen Brüdern verkauft. Aber er bringt es in der Fremde zu etwas. Später muss das ganze Volk Israel hin und her. So geht`s im Alten Testament immer weiter. So richtig ruhig scheint niemand zu leben. Und im Neuen Testament ist es auch nicht viel anders. Maria und Josef sind unterwegs. Jesus sowieso, seine Apostel mit ihm. Paulus ist ein ruhelos Reisender. In der ganzen Bibel herrscht ein einziges Kommen und Gehen.
Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Immer noch sind Menschen unterwegs. Fluchtgeschichten, Familienzusammenführungen, die Sehnsucht nach einem besseren Leben – auch die Gründe sind immer noch die gleichen. Und mittlerweile sind die Menschen längst in unseren Dörfern und Kirchengemeinden angekommen. Viele Orte, viele Gemeinden verändern sich dadurch. Manchen macht das Angst. Andere nehmen diese Aufgabe an. Sie arbeiten daran, wahr zu machen, was schon im Epheserbrief dazukommenden Gemeindemitgliedern angeboten wird, wenn es dort heißt:

So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. (Eph 2,19)

Bernd Butzbach ist Ortsvorsteher von Winzenheim, einem Stadtteil von Bad Kreuznach. Hier werden die Weintraditionen hoch gehalten. Aber aus einem kleinen Dorf von 900 Einwohnern ist in vier Jahrzehnten ein Stadtteil von 4400 Einwohnern geworden. Viele Nationen kommen nun in diesem Ort zusammen. Bernd Butzbach ist es eine Herzensangelegenheit geworden, dass es ein friedvolles Miteinander zwischen den Alteingesessenen und den Zuwanderern gibt. Gemeinsam sollen sie die Zukunft des Ortes gestalten.

Ich bin der Meinung, dass man nur miteinander auf den Weg kommen kann. Alleine kommt man auf jeden Fall nicht weiter.

Und für solch ein Miteinander lässt er sich einiges einfallen. So wandert er einmal im Jahr mit jungen Familien aus ganz verschiedenen Ländern und Religionen durch den Ort, besucht mit den Kindern die Feuerwehr, geht mit ihnen in die zum Weinmuseum ausgebaute Dorfscheune. Ihm ist es wichtig, dass alle die Ortstraditionen kennenlernen. Und als evangelischem Gemeindeglied ist es ihm auch ein Anliegen, dass gerade Menschen – und hier besonders die Kinder aus anderen Ländern und Kulturen - die evangelische Kirche zumindest kennenlernen. Und so endet seine jährliche Wanderung mit dieser buntgemischten Schar in der evangelischen Kirche.

Da gibt es für mich was ganz Faszinierendes. Da sitzen dann die Eltern, die Kinder können an die Orgel, der Pfarrer stellt die Kirche vor, da läuten die Glocken, die können mit allem umgehen, dürfen alles anfassen, bekommen alles erklärt. Ich muss die Kirche zu den Kindern bringen und nicht umgekehrt. Kinder ist für mich das höchste Gut. Wenn man die Kinder auf dem Weg hat, hat man die Eltern, die Großeltern und die ziehen dann da alle mit.

Schön, wenn Menschen sich so für andere einsetzen. Aber es geht auch anders herum. Fremde finden den Weg in eine Kirchengemeinde.


3. Teil

So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen. (Eph 2,19) So werden Menschen im Epheserbrief angesprochen, die an einem anderen Ort neu anfangen müssen. In unsere Gemeinde kommen Menschen aus ganz verschiedenen Ländern und aus ganz verschiedenen Gründen. Manche kommen von sehr weit her und finden auch von allein ihren Weg in die Kirchengemeinde. Herta Neumann kam vor fasst zwanzig Jahren aus Tadschikistan mit ihrer Familie hierher. Sie erinnert sich.

In der Schule wurde es uns gesagt, es gibt keinen Glauben. Die älteren Leute haben sich ja immer zusammengefunden, in einem Haus irgendwo und haben geglaubt. Der Glaube war immer da, war stark da bei unseren Eltern. Wo ich noch in Tadschikistan war, habe ich mir fest vorgenommen, dass ich, wann ich nach Deutschland komme, das erste was ich mache, gehe ich in die Kirche. Die Kirche gibt mir viel Mut, viel Geduld, viel Verständnis mit meiner Familie, ich kann anders mit der Familie umgehen.

Ganz anders war der Weg von Vera Brandt. Aus der Großstadt Berlin folgte sie der Tochter und ihrer Familie auf’s Dorf, nach Winzenheim. Die Kirche hatte sie dabei eigentlich gar nicht im Blick.

Ich bin nie in die Kirche gegangen, Kirche war für mich nie ein Thema. Es war die Arbeit, hatte nie Zeit, hab das immer auch als Ausrede genommen. Also mit der Kirche hatte ich nicht viel am Hut.

Hier in Winzenheim hat sich ihr Glaubensleben von Grund auf geändert. Auf einmal hatte sie wieder Lust, ihren Glauben auch aktiv zu leben. Sie erinnert sich, an den Tag, als sie zufällig vor dem Schaukasten der Evangelischen Lukas-Gemeinde stand. Dort traf sie die Pfarrerin.

Und die sagte: Was suchen Sie denn? Ach, sagte ich, eigentlich suche ich gar nicht, ich wollte mich nur mal kundig machen, wo man hier so hingehen kann. Na kommen Sie doch mal, sagte sie, und schauen sie sich doch an, was wir so machen. Und das habe ich dann auch so gemacht. Sie hat mich richtig hingezogen. Und jetzt frage ich mich, warum hast du das nicht schon früher gemacht?

Mittlerweile ist Vera Brandt aus der Gemeinde nicht mehr wegzudenken und überaus aktiv.

Komm doch erst mal in den Frauenkreis. Gut, da bin ich Mitglied. Komm doch mal in den Seniorenkreis, dann bin ich auch in den Seniorenkreis. Dann brauchten sie jemand für die Küche, da wird gekocht, einmal im Monat mittwochs. Ach, da dachte ich, das ist auch mal ‘ne Abwechslung. Und das mach ich jetzt auch, da koch‘ ich jetzt mit, gefällt mir alles wunderbar.

Für mich als Pfarrer sind das immer ganz besondere Momente, wenn ich erlebe, wie meine Gemeinde einfach so wachsen kann. Dennoch ist klar: wir dürfen nicht nur auf Menschen warten, bis sie zu uns kommen. Für mich ist zu einem persönlichen Gemeindeprogramm geworden, was Clemens Bittlinger singt: „Wir wollen aufsteh’n, aufeinanderzugeh’n, voneinander lernen, miteinander umzugeh’n!“
Ja, ich denke, genau so könnt’s gehen! https://www.kirche-im-swr.de/?m=4100
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