Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Die da oben, wir da unten. Diese Einteilung wird wieder populärer. Teils resigniert, teils verbit-tert befürchten Bürgerinnen und Bürger, dass sie immer weniger zählen in den Augen der Mächtigen und Wohlhabenden. „Die da oben“ haben anscheinend die sogenannten kleinen Leu-te kaum noch im Blick. Viele leben in ihrer eigenen abgehobenen Welt, vorrangig dem eigenen Vorteil verpflichtet.
Ein gänzlich anderes Bild von „oben und unten“ zeichnet das Alte Testament, wenn es das Ver-hältnis Gottes zu seinem Volk beschreibt. Gott thront zwar in unerreichbarer Höhe, aber er hört trotzdem die Stimmen der Armen und Unterdrückten. Die Rufe der Armen, Witwen und Waisen dringen an sein sensibles Ohr und bewegen ihn zum Handeln.
Für das Volk Israel war dieses Verhältnis von „oben“ und „unten“ aber nicht nur ein schönes religiöses Bild. Es war ein verpflichtendes Vorbild für die politische Praxis im Land: Wenn Gott auf die Kleinen und Schwachen hört, dann muss das auch der König als der mächtigste Politi-ker tun. Schließlich beruft er sich auf diesen Gott. Ausgeplünderte aus der Hand des Gewalttä-ters zu retten, Fremden, Waisen und Witwen zu ihrem Recht zu verhelfen, das ist nach Ansicht der Propheten die wichtigste politische Aufgabe des Königs. Wer aber nur seinen eigenen Vor-teil im Blick hat und die Not der Mitmenschen übersieht, der taugt nicht zum König und wird scheitern.
Nach der Bibel darf es ein soziales und politisches „Oben“ und „Unten“ durchaus geben. Aber nur so lange „die da oben“ ihrer Verantwortung für „die da unten“ gerecht werden. Solange sie sich nicht nur auf ihren eigenen Vorteil konzentrieren. Gute Politik besteht aus biblischer Sicht darin, dass Politiker ihre Macht nutzen, um den Hilflosen und Schwachen zu ihrem Recht zu verhelfen.
Eine solche Sicht der Verhältnisse ist auch heute hilfreich. Sie vermeidet bloße Neiddebatten ebenso wie eine unversöhnliche, beziehungslose Trennung in oben und unten. Zugleich betont und bestätigt sie das Recht der Schwächeren - und fordert die Pflicht der Starken und Mächti-gen ein, dieses Recht tatkräftig zu sichern und zu erfüllen. Nach dem Zeugnis der Bibel ist das nicht nur kluge Politik, sondern wahrer Gottesdienst. Denn der Gott ganz da oben hat sich die Anliegen von denen da unten selbst zu eigen gemacht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4072
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