Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Seit ein paar Wochen habe ich einen kleinen Lehrmeister. Manchmal morgens, wenn ich am Schreibtisch sitze, läuft er vorbei. Das heißt, eigentlich hüpft er vorbei. Ein kleiner Hund mit weißlockigem Fell, eine Art Pudelspitz. Das Besondere an dem Hund ist: Er hat nur drei Beine. Das rechte Vorderbein fehlt. Und deshalb hüpft er neben Frauchen her, wenn die mit ihm Gassi geht.
Ein beinamputierter Hund, dachte ich, mein Gott, was hat der kleine Kerl durchgemacht.
Ich habe nach Spuren von Depression bei ihm gesucht. Hängende Ohren, trüber Blick, kraftloses Auftreten. Aber – nichts von alledem. Er schnüffelt sich mit Leidenschaft am Grünstreifen entlang.
Und immer wenn der Pudelspitz vorbeikommt, frage ich mich: Warum schaust du immer auf das eine Bein, das fehlt? Und denkst: der arme Hund, der ist ja gestraft mit den drei Beinen. Dabei- näher besehen ist das ja Quatsch.
Einmal übrigens ist Jesus auch einem Behinderten begegnet. Dem fehlte zwar kein Bein, aber er konnte nichts sehen. Der arme Kerl, sagten die Leute, was ist er doch gestraft mit seiner Blindheit! Und weil sie sich mit der Strafe schon mal sicher sind, wollen sie von Jesus nur noch wissen, wofür. Jesus aber sieht sofort: das ist alles Quatsch.
Und dann sagt er etwas ganz Gewagtes. „Der ist so, sagt er, damit ihr an ihm die Herrlichkeit Gottes erkennt. Denn Gott kann an ihm wunderbare Dinge tun.“
Ich finde, Jesus hat einfach recht. Wir schauen immer auf das, was fehlt. Wo jemand etwas nicht hat, was er haben sollte. Und sehen gar nicht das Besondere, das so jemand auch noch hat.
Zum Beispiel: was hat ein Blinder doch manchmal für ein exzellentes Gehör! Oder: wie wunderbar kann ein Chaot etwas improvisieren. Das können richtige Offenbarungen sein.
Und da muss ich doch auch meinen dreibeinigen Pudelspitz erwähnen. Der hat nämlich, man sollte es nicht glauben, eine geniale Technik entwickelt, um wie jeder anständige Hund sein Revier zu markieren. Dazu muss Hund ja sein Bein heben.
Und wie macht er das? Er lehnt sich mit dem Bauch an den Baum, sodass der ihm sein Vorderbein ersetzt. Und dann hebt er sein Hinterbein und steht geradezu freibeinig, weil zweibeinig da - und lässt den Dingen seinen Lauf. Das soll ihm mal einer nachmachen!
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