Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Das ist jetzt einfach nicht wahr, denke ich. Ich stehe in der Sakristei der Friedhofskapelle und greife in meine Aktentasche. Draußen hunderte von Trauernden, das ganze Dorf ist auf den Beinen. Alle sind erschüttert und betroffen, dass der junge Mann so tragisch gestorben ist, ich auch.
Ich habe mir genau aufgeschrieben, was ich sagen wollte. Und jetzt ist meine Aktentasche leer. Meine Predigt liegt zu Hause auf dem Schreibtisch und ich stehe mit leeren Händen in der Sakristei. Das ist jetzt einfach nicht wahr, denke ich.
„Wenn von euch einmal ein Zeugnis verlangt wird, hat Jesus gesagt, dann habt keine Angst. Denn der heilige Geist wird euch die Worte eingeben. Sodass ihr wisst, was zu sagen ist.“ Gut gesagt. Aber wie soll das gehen? Wie soll man trösten, wenn ein junger Mensch stirbt? Selbst wenn man was Schriftliches vor der Nase hat, ist das schwer genug, menschlich gesehen allemal. Aber der Heilige Geist wird euch eingeben, was ihr sagen sollt, hat Jesus gesagt. Denn der heilige Geist ist eine große Kraft, ein guter Tröster.
Verstanden haben die ersten Christen das erst nach Jesu Tod. Da waren sie nämlich untröstlich. Und da hat sie etwas getröstet, was sie sich überhaupt nicht erklären konnten. Das kommt nicht von uns, sagten sie. Das ist ein heiliger, ein göttlicher Geist. Es war, als wäre Jesus selbst da und würde ihnen in der Situation eingeben, was zu sagen ist. Immer wenn sie mit ihrem Latein am Ende waren, nicht wussten: wie sag ich’s meinem Kinde? Wie entschärfe ich die Situation? Da spürten sie seine Nähe. Und deshalb gingen sie mutig in Situationen hinein, die sie nicht überschauen konnten. Heilten Kranke, redeten vor Gericht. Einfach so, aus der Kraft des Heiligen Geistes.
Daran habe ich mich dann erinnert, damals in der Friedhofskapelle. Ich knöpfte meinen Talar zu, nahm meine Bibel und betete: „Wenn du es willst, Gott, dass ich die Leute jetzt tröste, dann schenke mir deinen Geist. Ich kann es nicht allein. Amen.“
Ich weiß nicht mehr, was ich damals gesagt habe. Aber ich habe später eine Freundin gefragt, die auch dabei war. Ob die Beerdigung wohl tröstlich gewesen sei. Sie wischte sich eine Träne weg, lächelte, und fragte, warum ich das wissen wollte. „Weil ich meine Predigt vergessen habe.“ Sagte ich ihr. Ne, sagte sie, das ist jetzt aber nicht wahr!

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