Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Gott hat mich verlassen“, klagte der Mann und weinte. „Er hilft mir einfach nicht, ich kann machen und tun, was ich will.“
„Machen und tun“, das war bisher sein Weg mit Gott. Stundenlang hat er gebetet, Kerzen angezündet, Geld gespendet, Gottesdienste besucht. Hat sich unendlich angestrengt, um Gottes Herz zu erweichen. Sein Ziel: Gott soll seine Frau gesund machen. Sie ist alkoholkrank, und das schon seit Jahren. „Ich kann jederzeit aufhören“, sagt sie. Doch das ist längst nicht mehr wahr. Sie ist schwer krank. Alkoholismus ist keine Charakterschwäche, sondern eine Krankheit. Und deshalb braucht sie dringend ärztliche und therapeutische Hilfe. Aber sie will nicht. Und so betet ihr Mann.
Dabei übersieht er: Auch er ist der Krankheit seiner Frau erlegen. Auch bei ihm dreht sich alles nur noch um die Alkoholkrankheit, nur von der anderen Seite. Was hat er nicht alles versucht. Hat auf seine Frau eingeredet, gebettelt, hat gedroht, sie zu verlassen, wenn es nicht besser wird, hat geweint und Szenen gemacht – aber nichts hat sich geändert. Dann fing er an, den Himmel zu bestürmen. Gott möge der Frau helfen, trocken zu werden. Doch nichts geschah. Schließlich war er völlig erschöpft, fühlte sich von Gott und der Welt verlassen.
Aber dann .... geschah doch ein Wunder. Irgendwann besuchte er eine Selbsthilfegruppe für Angehörige von Alkoholkranken. Und da lernte er etwas ganz Wichtiges: Er lernte, dass sich sein Leben nicht nur um seine Frau dreht. Dass er selbst auch ein Mensch ist, Interessen hat, ein eigenes Leben. Seitdem pflegt er wieder seine Hobbys. Und er betet anders. Weil er weiß: Seine Frau muss handeln, nicht er. Deshalb legt er seine Frau und ihr Schicksal jeden Tag in Gottes Hände. Vielleicht schenkt Gott ihr Einsicht in ihre Krankheit. Aber das ist nichts, was ihr Mann machen könnte. Das hat er gelernt. Er betet jetzt auch für sich. Für sein Leben. Und es geht ihm so viel besser. Sein Leben ist nicht mehr so angestrengt. Er fühlt sich schon lange nicht mehr von Gott verlassen. Hat wieder Lebensmut gefasst.
Seine Frau übrigens hat sich verändert, seit er nicht mehr so viel für sie sorgt. Sie hat gemerkt, dass sie etwas tun muss. Seit Kurzem geht sie auch in eine Selbsthilfegruppe.


https://www.kirche-im-swr.de/?m=3952
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