Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Was würden Sie machen, wenn Sie nur noch ein Jahr zu leben hätten? Keine leichte Frage. Über die Hälfte der Bundesbürger sagt: „Auch wenn ich bald sterben müsste: Meinen Lebensstil würde ich dann nicht ändern.“ Etwa ein Drittel würde „noch mal richtig auf den Putz hauen und sich langgehegte Wünsche erfüllen.“ Fast jeder Dritte würde sich vornehmen, vor seinem Tod noch „alte Rechnungen zu begleichen“.
Sicherlich sind das ehrliche Antworten – aber Antworten von Menschen, die sich vorstellen, „wie es wäre, wenn“. Gedankenspiele also. Wie ist es aber, wenn ich unmittelbar in der Situation drin stecke, wenn ich von einem baldigen Tod bedroht werde?
Mir kommen da die todkranken Menschen vor Augen, die in einem eindrucksvollen Dokumentarfilm begleitet werden. „Leben mit dem Tod“ heißt er. Ein Ehepaar sehe ich noch genau vor mir: Beide um die 40 Jahre alt, der Ehemann abgemagert, vom Krebs gezeichnet. Sie wissen, dass sie einander nur noch kurze Zeit haben werden. Und sie erzählen, dass ihr Leben dadurch viel intensiver geworden ist. Seit sie wissen, dass ihre Lebenszeit so begrenzt ist, leben sie viel bewusster. Vieles, was ihnen früher wichtig war, haben sie als unwichtig erkannt. Dafür sind andere Lebenswerte in den Vordergrund gerückt. Sie gehen viel achtsamer miteinander um. Eine Szene im Film hat mich besonders beeindruckt: Die Ehefrau schaut liebevoll zu ihrem todkranken Mann, nimmt zärtlich seine Hand und sagt: „Wir machen keinen Abend im Bett das Licht aus, bevor nicht alles ausgeräumt ist, was noch zwischen uns steht. Unsere gemeinsame Lebenszeit ist viel zu kostbar, um den Tag im Streit zu beenden oder unversöhnt die Augen zuzumachen.“
Sicherlich gelingt das in der besonderen Situation dieses Ehepaars leichter. Im Angesicht des Todes zeigt sich, worauf es im Leben wirklich ankommt. Doch gilt für jeden Menschen: Die Lebenszeit ist begrenzt. Jeder Augenblick ist einmalig und unwiederholbar. Dadurch wird er auch so kostbar. Es klingt paradox: Je mehr ich mir bewusst bin, dass mein Leben endlich ist, desto intensiver kann ich es leben.


Die Umfrageergebnisse sind einer Meldung der Tageszeitung „Die Rheinpfalz“ vom 14. Februar 2008 entnommen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3909
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