SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Beinahe 90 Jahre alt ist die Frau in unserer Nachbarschaft. Man merkt ihr an, dass die Kräfte langsam schwinden. Das Gehen fällt zusehends schwerer. Von ihrem großen Garten aber, da kann und will sie nicht lassen. Allein bestellen und pflegen kann sie die Beete inzwischen kaum mehr, aber alles muss so bleiben wie seit Jahrzehnten. Die selben Gemüsesorten, die Anordnung der Beete. Alles so, wie es immer war. Ihre Kinder, die weit entfernt wohnen, müssen sich nun Urlaub nehmen, wenn der große Gemüsegarten nicht verkommen soll. Nicht unbedingt zu deren Vergnügen. Den Garten abgeben aber käme für die Mutter niemals in Frage.
Es scheint so, als habe tatsächlich alles im Leben seine bestimmte Zeit, wie es in einem meiner absoluten Lieblingstexte in der Bibel heißt. Eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben, eine Zeit zum Suchen und eine Zeit zum Verlieren, heißt es da. So wie es auch eine Zeit zum Arbeiten und eine Zeit zum Ruhen, eine zum Anfangen und eine zum Aufhören geben muss. Unser Leben ist nun mal ein ständiges Kommen und Gehen, wo Neues aufbricht und Altes, Gewohntes zu Ende geht. Lebenskunst wäre es demnach, die richtigen Zeitpunkte nicht zu verpassen. Jene Momente, an denen es Zeit ist loszulassen und ein neues Kapitel aufzuschlagen. Einschnitte, die immer etwas mit Abschiednehmen zu tun haben. Leicht und schmerzlos ist das selten, vielleicht aber ein ständiges Einüben in die Erkenntnis, dass alles im Leben wohl seine ganz bestimmte Zeit hat.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=3864
weiterlesen...