Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Ich habe meine besten Witze erzählt, das Publikum lachte nur gequält.
Doch Heiterkeit ohne Maß und Ziel erreichte ich, als ich vom Fahrrad fiel.“
Dieses Gedicht von Michael Ende und der Volksmund sind sich einig: Schadenfreude ist die schönste Freude. Nichts geht über die heitere Erleichterung über das Missgeschick anderer, das einem selbst erspart blieb. Vor allem wenn es die Reichen und Großen trifft und sie endlich einmal heruntermüssen von ihrem hohen Ross, dann kennt die Schadenfreude keine Grenze. Offenbar ist es eine allgemeine menschliche Eigenschaft, sich über das Pech anderer zu amü-sieren, sonst könnte man sich den Erfolg mancher Fernsehsendung gar nicht erklären. -
Merkwürdig nur, dass es in vielen Sprache überhaupt keinen Begriff für unser Wort „Schaden-freude“ gibt. Einem Italiener muss man erst erklären, was gemeint ist, und ein Engländer ü-bersetzt die harmlos klingende Schadenfreude mit „bösartigem Vergnügen“ oder benutzt gleich das deutsche Wort.
Ob andere Nationen sensibler oder moralischer sind? Wohl kaum, denn das Phänomen der Schadenfreude gibt es überall. Allerdings freuen sich nur diejenigen, die nicht betroffen sind. Die Opfer der Schadenfreude hingegen können sich nicht ohne weiteres mitfreuen, denn der Spaß geht auf ihre Kosten. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Auch eine Volksweisheit.
Andererseits wäre es Unsinn, jetzt den moralischen Zeigefinger zu heben und jedes Grinsen zu verbieten, wenn wieder einmal jemand in Überheblichkeit oder Selbstüberschätzung oder ein-fach nur als Tollpatsch auf die Nase fällt und eine witzige Figur abgibt. Schadenfreude ist die Erleichterung, dass man nicht selbst reingefallen ist – und zugleich die Erkenntnis, dass man beim nächsten Mal selbst derjenige sein könnte, der sich zum Gespött macht. Ganz schnell können die Rollen wechseln. Vielleicht deshalb folgen auf das erste spontane Lachen häufig Verständnis oder gar Mitleid mit dem Geschädigten.
Aber passt beides zusammen: Das spontane Lachen über ein komisches Missgeschick und der spontane Impuls, dem wieder aufzuhelfen, der vom Fahrrad fiel. Beidem nachzugeben ist nur allzu menschlich. Und dann kann vielleicht auch der Geschädigte mitlachen.

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