SWR2 Wort zum Tag

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Niko, den Jungen mit den blonden, verstrubbelten Haaren, habe ich vor kurzem kennen gelernt – in einer ländlichen Region Baden-Württembergs, landschaftlich idyllisch, geprägt durch religiöse und kulturelle Traditionen. Eine heile Welt – zumindest von außen, und nicht für alle.
Für Niko war die Welt nie heil. Er ist 18 Jahre alt, das jüngste von vier Geschwistern. Bereits mit vier Jahren kam er ins Heim. Der Vater war Alkoholiker. Die Eltern haben sich nur noch gestritten und kaum Geld gehabt, um die Kinder ordentlich zu versorgen, erzählt Niko. Vor fünf Jahren ist seine Mutter gestorben. Außerdem ein „Kumpel“, wie er sagt – ein guter Freund, wie ich annehme. Beides zusammen, der Tod der Mutter und des Freundes, haben ihn nach seinen eigenen Worten „ziemlich kaputt“ gemacht. Mit meinen Worten: Der Tod dieser beiden Menschen hat ihn so erschüttert, dass er eine psychotherapeutische Behandlung brauchte. Denn offensichtlich hat Niko nur wenige Menschen, die seinem Leben Halt geben.
Die Schule war für Niko ein schwieriges Kapitel. Er hat sie mit einem Abschluss der Förderschule beendet. Er benötige weiterhin intensive Betreuung, bescheinigte ihm damals das Arbeitsamt. Auf der Sonderberufsfachschule, der nächsten Station, erlebt Niko dann einen Durchbruch: Er schafft den Hauptschulabschluss. Er hätte sich das selbst kaum zugetraut. „Aber“, sagt Niko, „ich hab’s geschafft. Darauf bin ich stolz.“ Das ist vielleicht eine der wichtigsten Erfahrungen, die der Junge in seinem bisherigen Leben machen konnte: „Ich hab’s geschafft. Darauf bin ich stolz.“ Inzwischen hat er eine Ausbildung als Holzfachwerker begonnen.
Ich sehe Nikos bisherigen Lebensweg mit Hochachtung. Wie viel Schmerz und Mühe sind ihm abverlangt worden, um dorthin zu kommen, wo er heute steht. Wie wäre seine Entwicklung wohl unter günstigeren Vorzeichen verlaufen? Ich wünsche ihm jedenfalls noch viele Erfahrungen, von denen er später einmal sagen kann: „Ich hab’s geschafft. Darauf bin ich stolz.“ Ich wünsche ihm und vielen anderen Jugendlichen aber auch Menschen, die sich davon leiten lassen, dass jeder Mensch in jeder noch so schwierigen Situation viel Vertrauen und Unterstützung braucht, um seine Zukunftschancen wahrnehmen zu können.
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