SWR2 Wort zum Tag

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„Du führst uns hinaus ins Weite“ – das klingt ausgesprochen zuversichtlich, ja optimistisch. Mit dem „Du“ ist Gott gemeint. Da steckt eine ziemlich weitgreifende Behauptung drin. „Du führst uns hinaus ins Weite“ heißt das Leitwort für den 97. Deutschen Katholikentag in Osnabrück. Das Motto ist formuliert nach einem Vers aus dem 18. Psalm.
Nächste Woche Mittwoch wird der Katholikentag eröffnet. Fünf Tage lang soll es in Osnabrück darum gehen, wie sich Zukunft gestalten lässt - in der Gesellschaft und in der Kirche, hier in Deutschland und in der „Einen Welt“.
Der Katholikentag hat deshalb mit „Visionären für sich geworben, mit Menschen, die eine „Vision“ haben. Auf einem Plakat sieht man beispielsweise eine sympathische junge Frau, ganz ruhig, die Augen geschlossen. Sie hält einen Zettel in den Händen mit ihrer „Vision“: „Stummen eine Stimme geben“, hat sie geschrieben In ihrer Freizeit engagiert sich die Journalistin für Medienprojekte in Afrika.
Auch die anderen „Visionäre“, die für den Katholikentag werben, haben irgendeine Initiative, Organisation oder ein Projekt gegründet, um Zukunft zu gestalten: ein Haus, in dem Senioren selbstständig und doch gemeinsam alt werden können, eine Initiative gegen Jugendgewalt, ein Umweltprojekt in Peru. Der Katholikentag hatte deutschlandweit nach Menschen mit Visionen gesucht: Nach Visionären des Alltags, die an ihren Auftrag, ihre Hoffnung glauben. Solche, die sich ins Weite führen lassen wollen, die Weitblick haben.Ich fand diese Werbe-Idee auch sehr mutig: In Lexika findet sich unter Vision zwar auch die „Vorstellung von der Zukunft oder der Zukunftsentwurf“; der Übergang aber zur „Halluzination“ oder zur „Erscheinung“ ist fließend. Bei einer „Rangliste“ von Management- und Marketingfloskeln wäre der „Vision“ ein ganz prominenter Platz sicher: Keine Supermarktkette, die nicht stolz ihre Vision verkündet. Keine Belegschaft, die nicht durch die gemeinsame Vision zu Höchstleistungen beflügelt werden soll.
Für vernünftige Realisten und pragmatisch Denkende stehen umgekehrt Visionäre unter Generalverdacht. Unübertroffen hat dies der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt formuliert: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.
Der Katholikentag setzt mit seinen „Visionären“ also einen Gegenakzent und behauptet: Wer keine Visionen hat, dem fehlt der Weitblick, der wird Mühe haben, durchs Leben zu finden. „Visionen“ in diesem Sinne haben nichts Großspuriges und nichts Schwärmerisches. Sie stehen für ganz konkrete Projekte, die jedes für sich die Gesellschaft ein bisschen heller und weiter machen sollen. Im Buch der Sprüche heißt es dazu: „Wo es keine Vision gibt, wird das Volk wild und wüst. Wohl dem aber, der auf die Weisung achtet.“ (Spr. 29, 18) https://www.kirche-im-swr.de/?m=3731
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