SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Wenn man etwas nicht weiß, dann muss man es halt glauben. So oder ähnlich wird eines der größten Missverständnisse zum Stichwort „Glauben“ gerne umschrieben. Doch Wissen und Glauben sind keine Gegensätze, eher unterschiedliche Zugänge. Wenn ich glaube, weiß ich etwas auf eine andere Weise. Gott ist nicht einfach mein Lückenbüßer, wenn ich anders nicht mehr weiter weiß. Im Gegenteil: Mein Vertrauen auf Gott kommt meistens vor dem Wissen, mein Glauben ist eine Grundlage in meinem Leben. Diese Grundlage ist zwar nicht unantastbar und über jeden Zweifel erhaben. Oft genug gerät der Glaube auch in den Hintergrund, wenn ich ihn nicht genug pflege und mich darin übe. Aber ich kann mir ein Leben ohne nur schwer vorstellen. Es gibt für Gott und seine Liebe zu uns Menschen keine Beweise, aber deutliche Hinweise meine ich schon zu erkennen.
Wenn ich zurückschaue, habe ich manchmal das Gefühl: diese kleine oder jene große Krise habe ich nicht allein durch gestanden. Da muss Gott mir beigestanden haben. Wenn ich jetzt im Frühjahr die Natur erlebe, sehe ich eine ungeheure Vielfalt und Schönheit. Auch dafür mache ich gerne Gott verantwortlich.
Dass ich auf Gott vertrauen darf, lerne ich durch solche Erfahrungen. Aber vor allem schaue ich mir den Glauben bei anderen Menschen ab. Ich lerne nicht irgendwelche Glaubenssätze auswendig und dann habe ich es. Sondern ich erlebe, wie es Menschen hilft, wenn sie glauben, wie sehr es ihr Leben bestimmt und wie sehr sie danach handeln. Ich bekomme das „Glauben“ vorgelebt. Besonders beeindruckt mich zum Beispiel eine Frau, die in ihrem Leben schon oft um Familienangehörige trauern musste: Fast schon ein bisschen trotzig hält sie an ihrem Glauben fest, sucht Trost bei Gott und bleibt ihm treu, obwohl sie allen Grund hätte, an seiner Treue zu zweifeln. Sie hat viele Fragen, aber gleichzeitig einen festen Halt in ihrem Glauben. Oder mein früherer Schulseelsorger. Er hat das, was ihn beschäftigt hat, oft mit in sein Gebet genommen, auch wenn in seinem Leben etwas zu entscheiden war. Er hat darauf vertraut, dass Gott ihm zeigt, wo es weiter hingeht. Inzwischen ist er seit vielen Jahren in Afrika. Die entsprechende Anfrage seiner Oberen hat er so lange mit sich herumgetragen, bis ihm – wie er sagte – „warm ums Herz“ wurde. Und dann ist er dorthin gegangen.
Der Theologe Hans Küng vergleicht den Glauben mit dem Schwimmenlernen. Das geht „nicht durch Stehen am Ufer, Lesen eines Lehrbuches oder einen Trockenschwimmkurs“. Es kann sein, dass einem andere Menschen dabei helfen. Doch Glauben bleibt wie das „Wagnis, sich mit Haut und Haar auf das rätselhafte Wasser einzulassen, das nur den trägt, der sich ihm anvertraut und nicht steif verhält, sondern sich bewegt.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3706
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