Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde“ heißt es im Psalm 23. „Im Angesicht meiner Feinde“ – Immer, wenn ich das bete, dann danke ich erst einmal Gott, dass ich in meinem Leben bis jetzt relativ wenig Bekanntschaft mit Feinden gemacht habe.
Der letzte Feind, an den ich mich erinnern kann, war eine Bäckersfrau. Und das kam so: Wir wohnte schräg gegenüber von einer Bäckerei. Alle zwei Tage holte ich da ein Walnussbrot. Aber dann fiel mir auf: Die Bäckersfrau gab mir immer ein altes Brot. Irgendwann regte es mich auf, dass sie selbst auf eine Nachfrage: Ist das denn frisch? behauptete: Ja. Ich fand das einfach unverschämt. Und doch war ich machtlos gegen sie, jedenfalls solange ich auf das Walnussbrot nicht verzichten wollte. Wenn ich sie auf der Straße sah, merkte ich, dass ich sie für ihr Verhalten regelrecht gehasst habe. Ja, sie war meine Feindin.
„Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.“ Ein merkwürdig schönes Bild. Ich sitze da, esse, trinke. Ich beschäftige mich gar nicht mehr mit dem Feind. Mit der geschäftstüchtigen Bäckersfrau. Ich bin nicht mehr in diese Feindschaft verbissen, die ja oft einen völlig trivialen Grund hat.
Freunde – Feinde, seitdem es Menschen gibt, gibt es auch diese Einteilung. Feinde hatte der Mensch von Anfang an. Feinde die auf dem Bauch krochen, wie die Schlangen. Feinde mit vier Beinen, denn wo der Säbelzahntiger wohnte, war der Mensch eine gern gesehene Beute. Und natürlich Feinde mit zwei Beinen: Der Mensch als Feind des Menschen.
Was heißt das dann: Gott bereitet einen Tisch im „Angesicht“ der „Feinde“? Doch soviel wie: Gott schafft Distanz. Er lässt uns zur Ruhe kommen, er nimmt uns die Angst, die auf den Magen schlägt. Er sagt: Iß und trink und lass dich nicht provozieren. Auch das ist eine Art Rettung, zumindest vor Exgatten, Nachbarn und allzu geschäftstüchtigen Bäckersfrauen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3670
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