SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Sie hat die alte Dame auf Zimmer 14 richtiggehend ins Herz geschlossen. Soviel Mutterwitz, soviel Güte, soviel Warmherzigkeit. Da ist das bisschen Altersverwirrtheit gar nicht so schlimm. Eines Morgens will sie ihr beim Aufstehen helfen wie immer. Aber an diesem Morgen gibt es kein Aufstehen mehr.
Später am Tag sitzt sie mit ihren Kolleginnen im Stationszimmer. Sie unterhalten sich über das Wetter. Über das letzte Wochenende. Über das Kinoprogramm. Über den Tod der alten Dame von Zimmer 14 traut sich niemand zu reden.
Am Abend dann sitzt sie vor dem Fernseher. Eine warme Decke auf den Knien und eine billige Schnulze im Fernsehen. Und plötzlich muss sie weinen. Sie würde ihr fehlen, die alte Dame. Mit ihrem Mutterwitz, ihrer Güte, ihrer Warmherzigkeit. Zimmer 14 würde nicht mehr dasselbe sein wie früher. Ohne die alte Dame.
Am nächsten Morgen sitzt sie wieder mit ihren Kolleginnen im Stationszimmer. Sie unterhalten sich über das Wetter. Über das letzte Wochenende. Über das Kinoprogramm. Auf Zimmer 14 wird das Bett gerichtet für eine neue alte Dame. Der Alltag geht weiter.
In unseren Krankenhäusern und Pflegeheimen arbeiten Tausende von Menschen. Und manchmal verlieren sie ihr Herz an einen Menschen. Vielleicht öfter, als ihnen gut tut. Jedenfalls dann, wenn es keinen Ort gibt, an dem man darüber reden kann.
Viele Einrichtungen organisieren für ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen Supervision. Gesprächskreise, in denen das zur Sprache kommt, was nicht in den Kleidern hängen bleibt. In der klugen Erkenntnis, dass Menschen eben keine Maschinen sind. Und es auch nicht sein dürfen, wenn sie anderen Menschen helfen sollen.
Und wenn in unserem Land immer wieder die Qualität unserer Pflegeeinrichtungen diskutiert wird, darf nicht vergessen werden, dass auch ein Pflegepersonal Pflege braucht. Damit es qualitativ hochwertig pflegen kann, ohne dabei selbst vor die Hunde zu gehen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3640
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