SWR3 Gedanken

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Eigentlich ist sie ein Schmarotzer. Aber ein ganz liebenswerter. Die Mistel. Es gibt sie in vielen verschiedenen Sorten. Und sie wächst auf vielen verschiedenen Bäumen. Und momentan hängt sie in vielen verschiedenen Häusern. Vorzugsweise in einer Tür oder in einem Eingang. Weil das so hübsch aussieht.
Aber die Mistel kann weit mehr als hübsch aussehen. Sie kann heilen. Angeblich wirkt ein Tee aus ihren Blättern blutdrucksenkend. Darüber hinaus hat die Mistel eine Bedeutung als altes Fruchtbarkeitssymbol. Nicht umsonst darf man unter ihr ungestraft küssen. Ihre Wirkkraft in einem legendären gallischen Zaubertrank ist allerdings umstritten.
Scherz beiseite. Die Mistel ist wie so viele Pflanzen ein kleines Wunder. Und ein notwendiger Bestandteil im Kreislauf der Natur. Deswegen sollte sie auch genau da bleiben. In der Natur. Denn dort stirbt sie langsam aus. Weil sie so hübsch in Türen und Eingängen aussieht. Aber leider nur zur Weihnachtszeit.
Weil die Mistel eindeutig ein Saisonartikel ist, lohnt sich ein kommerzieller Anbau nicht. Um der weihnachtlichen Nachfrage nachzukommen, werden deshalb die natürlichen Vorkommen ausgebeutet. Und wo das nicht mehr erlaubt ist, werden die Misteln aus Billiglohnländern eingeführt. Und da die Mistel sehr langsam wächst, droht inzwischen ein Aussterben dieser Pflanzenart.
Wenn man sich unter dem Mistelzweig küsst, ist das also nicht nur die reine Freude. Zumindest nicht für die Mistel. Und da es noch so viele andere Dinge zur Weihnachtszeit gibt, die hübsch aussehen, geht es vielleicht ja auch ohne die Mistel. Dann kann die weiter ihr liebenswertes Schmarotzerleben führen und den Vögeln als Nahrungsquelle dienen. Und wir werden es ja wohl noch fertig bringen, uns auch ohne Misteln zu küssen.
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