Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

11JAN2022
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Ein Vormittag in der Arbeit, wie er voller nicht sein könnte. Eine Besprechung jagt die nächste und dazwischen verschicke ich noch diverse Emails. Mein Kopf signalisiert: Halt! Gönn mir und dir ne kurze Auszeit, sonst wird das heute nix mehr mit uns zwei! Recht hat er und deshalb reiße ich kurz die Fenster auf und erlebe einen ungewöhnlichen Pausenmoment.

Denn statt Baustellenlärm und dem Verkehr der Straße höre ich eine einzelne Trompete, ganz klar. Sie spielt Dietrich Bonhoeffers „Von guten Mächten treu und still umgeben“. Ansonsten ist nichts zu hören, als würde alles Mittagspause machen. Ich bekomme eine Gänsehaut.

Mein Büro liegt gegenüber von einem Friedhof. Es ist also nichts Ungewöhnliches für mich, einen Posaunenchor oder Glockengeläut zu hören. Auch sehe ich öfters schwarzgekleidete Menschen, die Blumen in der Hand halten. Das passiert manchmal sogar mehrmals in der Woche, dass mich der Tod durch den Arbeitsalltag begleitet. Aber diese eine Trompete in der sonstigen Stille hat mich innerlich angehalten und auf Pause gedrückt.

Ich summe die Melodie mit und überlege, wann habe ich das letzte Mal dieses Lied gehört und bei wem? Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht als meine Großeltern gestorben sind?

Und ich schaue rüber zum Friedhof. Ich sehe Menschen, die loslassen, die um einen lieben Menschen trauern. Die deshalb jetzt eine große Pause in ihrem Leben erfahren werden. Zwangsläufig.

Und ich sehe auf der anderen Straßenseite Kollegen, die von der Mittagspause zurückkommen und Autos, die an dem ganzen Geschehen vorrüberfahren. Als wäre nichts passiert. Leben und Tod sind da ganz dicht beieinander.

Meine nächste Konferenz beginnt gleich. Aber ich komme nicht ganz los von diesem Moment. Weil ich mich verbunden fühle mit dem, was ich da sehe. Mit den Menschen auf dem Friedhof, die trauern. Ich kenne es.

Ich spüre bei all dem: Mein Leben ist endlich. Noch bin ich auf dieser Seite, bin mitten im Leben bei der Arbeit. Aber da ist eben auch die andere Seite, der Tod. Diese Seite wird durchlässiger, wenn ich eine Pause mache und hinhöre. Wenn ich jede einzelne Note höre, die die Trompete spielt. Und diese Seite hilft mir dann wieder mich auf die lebendige Seite zu konzentrieren.

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