SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

In der Straßenbahn schaue ich in einen Kinderwagen, den eine junge Mutter in meiner Nähe abgestellt hatte. Ich sehe das kleine Gesicht mit den großen Augen, beobachte die noch unkontrollierten Bewegungen der winzigen Arme und der feingliedrigen Händchen. Und plötzlich versuche ich mir vorzustellen, wie die Welt aussehen wird, wenn dieses Kind heranwächst, was auf es zukommen mag - und was ich ihm wünschen soll. Was sollen wir Kindern, Enkeln, jungen Menschen in unserer Gesellschaft für die Zukunft wünschen?

Auch sie werden nicht in einer vollkommenen Welt leben. Auch sie werden Widerstände, Konflikte, Leiden bestehen müssen. Und sie werden, wie jetzt die Älteren, mit Veränderungen, mit Ungewohntem, mit Befremdlichem umgehen müssen. So ist ihnen zu wünschen, dass sie sich auf den stetigen Wandel einstellen können, nicht am Vergangenen kleben, sondern neue Heraus- forderungen annehmen und in ihnen zu unterscheiden vermögen, was ihnen und Anderen hilft und was Leben und Zusammenleben belastet oder zerstört.

Dafür werden sie Maßstäbe brauchen. Sie bekommen sie in einer Gesellschaft, in der nicht nur von Werten und Würde geredet, sondern die Würde des Menschen geachtet wird und Werte überzeugend gelebt werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass es schon in der Ausbildung und dann im Zusammenleben Freiräume gibt für Begabung und Leistung, zugleich aber auch Regeln, die verhindern, dass Schwache von Lebensmöglichkeiten abgeschnitten werden. Wege ins Berufsleben müssen offen bleiben, Arbeit soll ihren gerechten Lohn finden. Menschen an der Macht sollen sich nicht selbst bedienen, sondern Verantwortung für das Wohl Anderer tragen. Eine Gesellschaft ist den Jungen zu wünschen, in der man nicht friert, sondern die Wärme menschlicher Zuwendung erfahren kann – durch Menschen, deren Beispiel zur Nachahmung anregt.

Für ihre Entwicklung ist den Jungen zu wünschen, dass sie Grenzen und Widerstände erfahren. Der Mensch entdeckt sich, wenn er sich an Widerständen misst, sagt Saint-Exupéry zu Recht. In der Erfahrung von Widerständen kann man lernen, dass man Kraft braucht zum Leben, dabei aber auch Stärke gewinnt und dass man im unentrinnbaren Wechsel von Glück und Leid Freude am Leben behalten und bei der Hoffnung bleiben kann. Zu wünschen ist den Jungen, dass sie die Kraft zum Leben und zur Hoffnung in dem finden, was schon Menschen vor ihnen getragen und was ihnen in ihrem Leben und für ihr Handeln geholfen hat: im Vertrauen auf den, von dem die Bibel sagt, dass er gestern und heute derselbe ist und Menschen im Gelingen und Scheitern treu bleibt
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