Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Gott hat einen Briefträger. Rabbi Schmuel Rabinowitz in Jerusalem. Er ist zuständig für die Westmauer am Tempelberg, besser bekannt als „Klagemauer“.
Für Juden in aller Welt ist das der heiligste Ort, den sie kennen.. Nirgendwo – so glauben sie – kann man Gott näher sein als an diesen gewaltigen Steinblöcken. Hier, wo vor 2.000 Jahren der Tempel stand, beten jedes Jahr rund fünf Millionen Pilger und Touristen. Viele von ihnen stecken einen Gebetszettel in die Mauerritzen. Ihre Briefe an Gott. Seit Generationen dient so die „Klagemauer“ als „Briefkasten“ für die Gebete. Klingt ungewohnt. Aber: „Die Briefe sind eben auch eine Form des Betens“, meint der Rabbi.
Heutzutage braucht man nicht mal mehr selbst nach Jerusalem zu kommen. Rabbi Rabinowitz empfängt sogar Briefe, Faxe und E-Mails, um sie dann in die Mauerritzen zu schieben. Und nicht alle Schreiber sind Juden.
Zweimal im Jahr wird der „Briefkasten“ geleert. Wenn alle Spalten der riesigen Klagemauer voll sind. Aber die Zettel wandern nicht ins Altpapier. Respektvoll werden sie auf dem Ölberg vergraben.
Welche Bitten und Danksagungen die Briefe enthalten, das weiß nur Gott allein. Rabbi Rabinowitz liest sie nicht. Auch an der Klagemauer gilt das Postgeheimnis! Im März 2000 war das anders. Da besuchte Papst Johannes Paul II. bei seiner Wallfahrt ins Heilige Land die Mauer in Jerusalem. Auch er steckte einen Gebetszettel zwischen die Steine. Dessen Inhalt aber sollte die Welt kennen. Da bat der Nachfolger des Petrus Israel um Vergebung für das von Christen am jüdischen Volk begangene Unrecht. Ein bewegender Moment für Juden und Christen. Versöhnung an der „Klagemauer“.
Natürlich kann man an jedem Ort Gebete sprechen und Gott nahe sein. Aber es gibt wirklich heilige Stätten, an denen man seine Gegenwart in besonderer Weise spüren kann. Die Westmauer des Tempelbergs in Jerusalem gehört dazu.


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