Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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30NOV2021
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Ein Adventskalender, nicht mit Schokolade oder Spielsachen. Sondern mit selbstgemalten Bildern von Jugendlichen. So einen Adventskalender gibt es an der Schule, an der ich arbeite. Seit gestern hängt er in der Aula, und nach und nach kommen mehr Bilder an die Wand. Alle passen zu einem gleichen adventlichen Thema. Dieses Jahr ist dieses Thema ein ganzes Lied. Es stammt vom Dichter Jochen Klepper und heißt „Die Nacht ist vorgedrungen“. Und das Bild, das heute zum 1. Türchen gehört, ist auf den ersten Blick gar nicht adventlich. Auf einer großen Leinwand ist ein Mensch zu sehen, der schreit. Helle und dunkle Farben stehen im Kontrast nebeneinander. Dieses Bild ist mir unter die Haut gegangen, weil es von einem ganz anderen Advent erzählt. Und genau deswegen passt es zu diesem Lied von Jochen Klepper.

„Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern. So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern.“ Wenn die Nacht „vorgedrungen“ ist, dann ist es kurz vor der Morgendämmerung. Dann liegen viele dunkle Stunden hinter mir, Stunden, in denen ich vielleicht voller Angst war oder mir Sorgen gemacht habe.

Jochen Klepper hat das Lied 1937 geschrieben. Er war Mitglied der SPD und Johanna, seine Frau, war Jüdin. Die beiden werden gedemütigt und ausgegrenzt. Als klar ist, dass es für Kleppers Frau und seine Tochter keine Chance mehr gibt, der Deportation zu entkommen, wählen alle drei den Freitod. Bis dahin muss Jochen Klepper mit sich und Gott gerungen haben. Er muss verzweifelt gewesen sein. Und genau in dieser schlimmen Situation schreibt er seine Zeilen: „Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern“. Jochen Klepper kann in seiner tiefen Dunkelheit schon etwas Helles erkennen: „So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern. Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein. Der Morgenstern bescheinet auch Deine Angst und Pein“.

Ich bin dankbar, dass ich nicht in so einer heftigen Lage bin, wie Jochen Klepper damals war. Dennoch lässt mich das, was er schreibt, auch hoffen. Auf diesen Morgenstern. Er ist für mich ein Bild für die Hoffnung auf Gott. Gerade dann, wenn ich Angst um jemanden habe, zum Beispiel um eine kranke Freundin. Da tut es gut zu hören, dass da, wo alles dunkel scheint, einer ist, der mich auffängt. Dass ich da nicht allein bin. Und meine Freundin auch nicht. Das kann sich anfühlen wie ein erstes Licht am frühen Morgen.

Darin steckt für mich Kraft, und auch das ist für mich Advent.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34367
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