SWR4 Abendgedanken

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26NOV2021
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Ich habe leider nicht gewonnen. Schade. Ein Jahr lang jeden Monat 1.000 Euro bekommen; 12.000 Euro einfach geschenkt– ohne irgendwelche Bedingungen. Der Verein „Mein Grundeinkommen“ verlost seit einigen Jahren jeden Monat sogenannte bedingungslose Grundeinkommen. Das Geld dafür ist gespendet und der Verein will herausfinden: Was macht dieses Geld mit den Menschen? Wie wirkt sich ein geschenktes Grundeinkommen auf ihr Leben aus? In der Politik wird immer wieder darüber diskutiert; während der Corona-Pandemie verstärkt: Könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle eine gerechtere Gesellschaft möglich machen? Es gibt zahlreiche Argumente dafür und zahlreiche dagegen. Und weil noch kein Land so ein Modell tatsächlich für alle ausprobiert hat, kann niemand genau einschätzen, was passieren würde.

Die Befürworter des Grundeinkommens haben einen prominenten Fürsprecher: Papst Franziskus. Er ist bekannt für seine Kritik am Kapitalismus. Und denkt deshalb in seinem Buch „Wage zu träumen“[1] über eine ganz neue Ausrichtung der Weltgemeinschaft nach. Vor kurzem hat er gesagt: „Durch die Bereitstellung eines universellen Grundeinkommens befreien und befähigen wir die Menschen in würdiger Weise für die Gemeinschaft zu arbeiten“. Die ersten Erfahrungen mit verschenktem Grundeinkommen zeigen genau das: Die allermeisten Menschen möchten auch mit einem Grundeinkommen weiterarbeiten - aber zu anderen Bedingungen: weniger arbeiten, mehr Zeit für die Familie, für Weiterbildung und Hobbies oder eben für ehrenamtliches Engagement. Dass Menschen auf der faulen Haut liegen bleiben, ist eher nicht zu erwarten. Auch ich könnte mir das nicht vorstellen. Denn Menschen möchten von sich aus mitgestalten und etwas Sinnvolles tun.

Was mir an dieser Idee vom Grundeinkommen vor allem gefällt: Es steht ein anderes Menschenbild dahinter: Jeder hat ein Recht auf die Dinge, die er zum Leben braucht. Einfach, weil er da ist, weil es ihn gibt. Niemand muss sich seine Existenz erst verdienen oder nachweisen, dass er bedürftig ist.

Was würde ein Jahr Grundeinkommen mit mir machen? Ich würde mir ein Jahr Auszeit erlauben. Und mich dann weiterbilden. Die Schreibtherapie interessiert mich. Auch eine Ausbildung bei der Telefonseelsorge kann ich mir gut vorstellen. Und ich würde gerne mal in einem Café bedienen. 

Der Journalist Heribert Prantl hat über Papst Franziskus und seine Vorschläge gesagt: „Im Vatikan sitzt ein realistischer Träumer“. Ich wünsche mir mehr von diesen realistischen Träumern, die Welt könnte einen großen Feldversuch dringend brauchen. Ich wage zumindest mit zu träumen.

 

[1] Papst Franziskus, „Wage zu träumen! Mit Zuversicht aus der Krise“, Kösel-Verlag

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34329
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