Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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17NOV2021
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Ich habe ein Ohrgeräusch, Tinnitus in der Fachsprache. Ein Pfeifen und Rauschen im Kopf, das nur ich höre. Kommt vom Stress, sagen die Ärzte. Ich glaube ihnen, mache mir aber auch so meine eigenen Gedanken.

Vielleicht reagieren ja auch mein Gehirn und die Gehirne vieler anderer Leidensgenossen mit diesem Phantomlärm auf den ewigen Krach und Lärm in unserer Umgebung. Der ist so allgegenwärtig, dass viele ihn meist nicht mehr hören. Man schreckt erst auf, wenn es aus welchem Grund auch immer plötzlich mal ganz still ist. Und damit mir nicht langweilig wird, höre ich dann meine Ohrgeräusche erst recht. Aber Spaß beiseite: Je älter ich werde, desto mehr wächst in mir die Sehnsucht nach Stille. Es gibt ein paar Orte, da fahre ich manchmal extra hin, um Stille zu genießen. Z.B. ein Denkmal, das „Wortsegel“ bei Tholey im nördlichen Saarland. Das ist so ein Ort. Zwei Stahlplatten, 13 Meter hoch, ein „Denkmal für Poesie“ nennt es der Künstler Heinrich Popp. Auf einer Hügelkuppe mitten in den Feldern steht das Segel und nur der Wind weht durch seine Öffnungen. Herrlich ruhig ist es hier. Ich finde diese Idee toll, ein „Wortsegel“ zu schaffen, das kein Wort sagt. Und das gerade deshalb zu mir spricht. Denn Stille kann etwas ganz Erhabenes und Großes sein. Stille kann Raum schaffen. Der Prophet Elia beschreibt in der Bibel seine Begegnung mit Gott als ein „sanftes, leises Säuseln“. Eine andere Übersetzung spricht von einer „Stimme verschwebenden Schweigens“. Toll formuliert. Poesie wie sie hierher passt. Was das bedeutet? Ganz einfach: Was wirklich wichtig ist, braucht keinen Lärm. Wenn alles still wird, kann sich mein Leben neu entfalten. Zu mir selbst und zu Gott finde ich, wenn es ruhig ist.

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