Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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16NOV2021
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„Stell dir vor, es gäbe kein Himmelreich, es gäbe auch keine Religionen – es gäbe nur den Himmel über uns“. Eine Zeile aus  „Imagine“ dem wahrscheinlich erfolgreichsten Titel von John Lennon. 50 Jahre alt ist dieser Song in diesem Jahr geworden. „Vielleicht sagst du, ich bin ein Träumer. Aber ich bin nicht der Einzige.“ Ja, Skepsis ist angebracht, wenn ich den Zustand der Welt im Allgemeinen und den meiner katholischen Kirche im Besonderen bedenke. Da kann man schon ans Träumen kommen, wenn man Anspruch und Wirklichkeit vergleicht. Es könnte mich manchmal zerreißen, wenn ich meine Vorstellungen von der Welt und der Rolle der Religionen in ihr mit der Realität vergleiche. Als Christ versuche ich, so gut es geht, die Friedensbotschaft Jesu zu leben. Und ich weiß, wie wenig das oft gelingt und wie schwer das ist. Und wenn ich mich etwas mit der Geschichte von „Imagine“ beschäftige, dann erlebe ich diese Zerrissenheit auch da. Eine radikale Botschaft mit einer einschmeichelnden Melodie. Der Produzent des Liedes, Phil Spector, wurde später wegen Totschlags verurteilt. Lennons Ehefrau Yoko Ono, die wohl wesentlich am Text mitgearbeitet hat, entpuppt sich als clevere Geschäftsfrau. Die findet bis heute immer wieder angeblich neues Musikmaterial ihres Mannes und vermarktet es gewinnbringend. Mit der Botschaft von „Imagine“ hat das nichts zu tun. Aber vielleicht macht das alles diesen Song noch ehrlicher. Denn die Welt hat immer beide Seiten, die kuschelige und die raue. Und sie und die Menschen, die auf ihr leben, sind heilig und sündig, gut und böse zugleich. Und oft könnte man an allem verzweifeln. Aber gerade deshalb braucht man die Träumer, braucht man Lieder wie „Imagine“, damit nicht vergessen wird, was sein könnte. Übrigens: Im Mai 2009 läutete das Glockenspiel der Kathedrale von Liverpool ausgerechnet „Imagine“ über die ganze Stadt. Die Kirchengemeinde wollte es als „Zeichen der Toleranz gegenüber anders Denkenden“ verstanden wissen. Ich finde, da ist schon ein Stück Traum Wirklichkeit geworden, denn das Himmelreich ist ja für alle da, auch für die, die singen: „Stell dir vor, es gibt gar keins…“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34296
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