SWR1 Begegnungen

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14NOV2021
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Daniel Hörsch

Barbara Wurz trifft Daniel Hörsch, Referent bei der Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung - kurz Midi

Teil I

„Lebensgefühl Corona“ - so der Titel einer Studie, die morgen erscheint. Entstanden ist sie unter der Federführung von Midi - der evangelischen Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung und diakonische Profilbildung. Ich bin mit Daniel Hörsch von Midi am Computer-Monitor verabredet. Das Großprojekt ist abgeschlossen, er wirkt entspannt, raucht sein Pfeifchen und erzählt von den Hintergründen:

Dieses Corona, diese Pandemie verändert unsere Gesellschaft, jeden einzelnen so nachhaltig und lässt auch wie in einem Brennglas Disruptionen sichtbar werden, die schon lange unterschwellig irgendwie vorhanden waren. Das wollten wir gerne näher in Erfahrung bringen: Was macht das eigentlich mit den Menschen?

Das Besondere an der Studie: Sie ist keine Momentaufnahme. Und sie erliegt nicht der Versuchung, ein einheitliches Bild von der Stimmungslage zu zeichnen.

Wir haben die Möglichkeit gehabt, ein Jahr lang 50 Personen - immer dieselben 50 Personen - drei Mal befragen zu dürfen. Und faktisch damit erstmalig über die ganze Pandemie das Lebensgefühl von Menschen einzufangen und zu beschreiben und nachzeichnen zu können.

Der Umgang der Menschen in der Krise ist vielfältig, und Kirche hat versucht, zu helfen. Ich frage Daniel Hörsch, ob die Menschen überhaupt irgendwelche Orientierungshilfen gesucht haben.

Halt und Orientierung: ja, auch spirituell. Allerdings spielt Kirche - bis auf diese zwei Typen - keine Rolle. Das muss man ganz nüchtern, so verstörend das auch sein mag, festhalten: Das Kirche auch gar nicht auf dem Schirm war.

Nur für zwei von insgesamt acht Typen von Menschen, die sich in der Studie herauskristallisiert haben. Nur für diese zwei - die Zuversichtlichen und die Mitmacher, spielt Kirche und Glaube eine Rolle. Die anderen - die Achtsamen, die Erschöpften, die Empörten, die Ausgebrannten, die Genügsamen oder die Denker nehmen kirchliche Angebote so gut wie gar nicht wahr. Das heißt aber nicht, dass es hier kein Interesse an Glauben oder Spiritualität gäbe:

Das haben ganz viele - eigentlich alle. Nur schlägt das Pendel, das spirituelle Pendel nicht mehr an der Triangel unseres kirchlichen Resonanzraumes an und erzeugt damit einen Klang. Sondern, das wird über Yoga, Tarot-Karten, Meditation, durch andere spirituell religiöse Praktiken befüllt.

Ein Pendel, eine Suchbewegung nach Glaube und Sinn schwingt auch im 21. Jahrhundert in den Gemütern fast aller Menschen. Ein Pendel, dass nach Resonanz suchtund in den Herzen der Menschen etwas zum Klingen bringt.

Die Kirche ist es nicht, die da zum Resonanzraum wird und klingt. Und ich fühle mich, als würde sie den Untergang meiner geistigen Heimat verkündigen. Daniel Hörsch dagegen lächelt immer noch entspannt, die Pfeife in der Hand.

Teil II

Kirchliche Angebote erreichen kaum noch jemanden - nicht vor und nicht während der Krise. Ernüchtert frage ich mich: Waren alle - auch meine persönlichen Bemühungen als Gemeindepfarrerin - für eine Erneuerung umsonst

Was ich wahrnehme (seit ich bei Kirche angefangen habe - 2005 -) in unglaublich vielfältigen Reformprozessen, Strukturveränderungen, Pfarrplänen in Württemberg und vieles mehr, dass wir sehr selbstbezogen versuchen, einen alten Schlauch zu flicken, anstatt den neuen Schlauch zu packen.

Selbstbezogenheit in der Kirche - damit hat Daniel Hörsch reichlich Erfahrung. Bei der Arbeitsstelle für missionarische Kirchenentwicklung ist er der einzige Soziologe unter lauter Theologen und Pfarrern. Manchmal ein Gegensatz

Soziologen lernen, zu fragen. Und da fängt’s schon an: Kirche glaubt immer schon, die Antworten auf - aus meiner Sicht - selten gestellte Fragen zu haben. Dass sich Theologinnen und Theologen und Gremien Gedanken machen: Was könnte denn die Leute interessieren? Und dann häkelt man etwas, und dann geht man damit hausieren, bietet das an und stellt fest, dass das Gehäkelte aber solche Löcher hat, dass alles durchfällt.

Erst fragen und dann daraus etwas machen: für die Menschen, und nicht an ihnen vorbei. Zu gerne würde ich jetzt von ihm hören, dass es dann automatisch auch wieder aufwärts ginge mit Mitgliederzahlen und der Bedeutung von Kirche. Aber auch damit ist Daniel Hörsch nicht so ohne weiteres einverstanden.

Der liebe Gott hilft den Schwachen, nicht den Starken. Warum nehmen wir nicht an, dass nach einer langen Zeit des volkskirchlichen Daseins, eines aufgeblasenen Luftballons jetzt die Zeit ist, dass die Luft aus dem Luftballon etwas zusammenschnurzelt und wir etwas mehr Diaspora sind? Und dann wieder uns ausdehnen zu können. Eine atmende Kirche - das ist mein Bild

Atmen, lebendig sein. Spürbar machen, dass der christliche Glaube trägt. Ein wenig beneide ich Daniel Hörsch, wie er gelassen und zuversichtlich vor mir sitzt, die Pfeife in der Hand. Und er erzählt mir, wo sein Traum von Kirche schon ein wenig Wirklichkeit geworden ist.

Gottesdienst, Hamburg, Wohnzimmerkirche: Tolle Liturgie. Viel Austausch in einem Kirchenraum, der ausgeräumt ist, wo Wohnzimmermöbel drin stehen, wo gegessen wird. Wo Gespräche zustande kommen, die mich bereichern, die mich neugierig werden lassen, die michauf menschliche Untiefen, auf Schicksale blicken lässt, die da erzählt werden. Raum zum Atmen, zum Neugierig sein, zum Staunen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34287
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