SWR2 Wort zum Tag

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15NOV2021
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Immer häufiger kommt es in letzter Zeit vor, dass ich in einem Lokal vom Kellner einfach geduzt werde. „Was kann ich Dir bringen?“, fragt er freundlich und ganz ohne Spott. Manchmal freut mich das. Dann bilde ich mir ein, einen besonders jugendlichen Eindruck erweckt zu haben. Manchmal irritiert es mich aber auch. Dann möchte ich zurückfragen: „Kennen wir uns? Oder woher kommt es, dass Sie mich einfach mit Du ansprechen?“ Klar ist: Der Umgangston in der Gesellschaft wird immer lockerer.

Für die Frage, wer wem das Du antragen darf, gibt es genaue Regeln: Der Ältere dem Jüngeren. Die Ranghöhere der in der Hierarchie unter ihr Stehenden. In meinen ersten Berufsjahren habe ich meine älteren Kollegen selbstverständlich gesiezt. Und keiner von diesen Pfarrherren ist je auf die Idee gekommen, mir das Du anzubieten. Heute ist es selbstverständlich, sich im Kreis von Kolleginnen und Kollegen von der ersten Begegnung an zu duzen. Ich finde das schön, denn es unterstreicht den Gedanken einer gemeinsam verantworteten Aufgabe. So wie in anderen Parteien und Verbänden das Duzverhältnis zum Programm gehört.

Wollen wir uns duzen? In manchen Ländern stellen sich solche Fragen erst gar nicht. Im Englischen oder Dänischen wird nicht zwischen Du und Sie unterschieden.

Es gibt aber auch das andere Phänomen: Eine Kollegin von mir hat ein paar Jahre auf einer Auslandspfarrstelle in Amsterdam gearbeitet. Es hat gar nicht lange gedauert hat, bis sie sich recht flüssig in der Landessprache verständigen konnte. Irgendwann hat sie sogar auf Niederländisch geträumt. Nur das Beten ist ihr auch nach vielen Jahren immer noch schwergefallen. Denn im Niederländischen wird Gott gesiezt. Das hängt mit der reformierten Tradition zusammen, die ganz besonders Gottes Größe und Erhabenheit betont und dann auch in der Anrede Ehrfurcht und Respekt erkennen lässt. Dieses „Sie“ war für sie so ungewohnt, dass es ihr bis zum Schluss nicht über die Lippen gekommen ist.

Das ginge mir genauso. Nie käme ich auf die Idee, Gott mit Sie anzusprechen. Dabei habe ich kein kumpelhaftes Verhältnis zu ihm. Ja, ich würde ihn noch nicht einmal als meinen Freund bezeichnen, wie andere das tun. Er ist mir nicht immer vertraut. Manchmal sogar fremd. Aber das Vertrauen, das ich ihm entgegenbringe, verträgt kein „Sie“. Und ich hoffe sehr, dass Gott mit mir auch per Du ist.

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