SWR2 Wort zum Tag

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04NOV2021
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Im Schaufester eines Buchgeschäfts habe ich ein Buch gesehen, an dessen Titel ich hängen geblieben bin. „Wird das wieder oder bin ich schon alt?“, stand da zu lesen. Gute Frage, habe ich gedacht, tatsächlich habe ich sie mir selbst schon manchmal gestellt. „Wird das wieder oder bin ich schon alt?“

Irgendwann im Leben begreift man ja, dass nicht alles zu ersetzen ist. Oder nachwächst. Oder wieder heil wird. Sicher, die Zähne bekommt man zweimal geschenkt. Das dritte Mal, hat mein Vater immer gesagt, muss man sie selbst bezahlen.

Das lichter und grauer werdende Haar kann man, wenn man das mag, mit ein paar Kunstgriffen verdecken. Manches andere geht zu Bruch. Beziehungen, Freundschaften, der gesundheitliche Bestzustand.

Und irgendwann begreift man: längst nicht alles kann man wieder auf Null zurücksetzen. Es ist nicht mehr wie bei den Kinderkrankheiten, die kommen und dann auch wieder gehen. Jetzt ist es eher wie bei einer Narbe, die einen zeichnet. Und die bleibt.

Wird das wieder oder bin ich schon alt? Manches wird eben nicht wieder, wie es mal war. Damit umzugehen, muss ich lernen. Sonst geht es mir so, wie beim Prophet Hosea im Alten Testament. Der prangert mit scharfen Worten die blinden Flecken bei seinem eigenen Volk an: „Ihre Haare sind schon grau geworden, doch sie selber merken es nicht.“

Mir hilft es, darauf zu achten, das Älterwerden nicht einfach als Geschichte von lauter Verlusten zu begreifen. Die spannende Frage ist für mich nicht: was wird mit den Jahren immer weniger? Sondern andersherum: was wird mehr?

Wo ich mich früher in einen Konflikt verbissen hätte, gelingt es mir heute zu vermitteln. Wo ich früher den Ehrgeiz hatte, mich unbedingt beweisen zu müssen, kann ich heute gut anderen die vorderen Plätze überlassen. Wo ich früher meinte, meine Zeit genau durchorganisieren zu müssen, stellt sich heute eher ein Gefühl der Gelassenheit ein.

Das hat wohl damit zu tun, dass ich mein Leben nicht als letzte Gelegenheit betrachte, in die alles schnell noch hineingepackt werden muss. Denn ich bin mir gewiss: Es gibt ein Leben nach dem Leben. Ein „Wird schon wieder“ der anderen Art!  

Das hinzukriegen, hängt allerdings nicht von mir und meiner Tüchtigkeit ab. Sondern ich hoffe und vertraue darauf: dass einmal mein und unser aller Leben - mit allen Narben und Beschädigungen - bei Gott „wieder wird“.

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