SWR1 Begegnungen

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01NOV2021
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Manu Theobald

Janine Knoop-Bauer trifft Manu Theobald, Fotografin und Autorin

Stille als Widerstandskraft?

Heute an Allerheiligen beginnt eine stille Zeit im Kirchenjahr. Die Tage werden kürzer und so wie sich die Natur immer weiter in sich zurückzieht, spüre auch ich: Ich sehne mich nach Einkehr und Ruhe. So bin ich auf die Fotografin und Autorin aufmerksam geworden. Sie hat ein Buch über die Stille geschrieben. Darin porträtiert sie ganz unterschiedliche Menschen, die etwas über Ihre Erfahrungen mit Stille erzählen:

beginnend mit dem Astronauten, der einen Blick von oben auf die Welt wirft und kurz daran erinnert, was für ein wahnsinniges Wunder es ist, dass Leben auf diesem Planeten entstanden ist. Gefolgt von der Höhlenforscherin und Mikrobiologin, die dasselbe veranschaulicht, was für ein wahnsinniges Wunder ist, wie vom Einzeller der Mehrzeller bis zu unserer Menschheit eben entstand. Dann kommt die Hebamme, die uns … mit der Geburt in die Welt bringt, was alle Wesen auf dieser Welt eint. Und am Schluss endet das mit dem Sterbehelfer und Hospiz Begründer, der eben über Stille und den Tod spricht. Und alle anderen dazwischen wollen uns daran erinnern, dass wir eine Hommage an das Leben geben und dass Stille eine große Einladung ist, die uns hilft, dieses Leben zu feiern.

Für Manu Theobald ist klar:  Stille verbindet die Menschen: miteinander, aber auch mit etwas, das über jeden und jede einzelne hinausgeht:

Also die Stille ist auf jeden Fall eine Brücke, ein großer Verbinder in einen wesentlich größeren Raum.

Ich erlebe diese stille Verbindung zu einem größeren Raum im Gebet. Aus christlicher Sicht ist das eine Möglichkeit, sich Gott zu nähern. Manu Theobald möchte den Begriff jedoch weiter fassen. Für sie sind es allgemeine menschliche Fragen, die sich in der Stille klären können. Ganz unabhängig davon, zu welchem Glauben man sich bekennt oder ob man überhaupt glaubt:

Also wie kann ich der Unvorhersehbarkeit des Lebens aus einer inneren Stabilität heraus begegnen? Wie kann ich mit so viel Prägung und gesellschaftlichen Vorgaben zu einem selbstbestimmten Leben finden? Wie kann ich meine Sinne weiter befeuern und nicht verkümmern lassen?

Die unterschiedlichen Menschen in Theobalds Buch haben diese Fragen auf verschiedene Weise für sich beantwortet. Was sie alle miteinander verbindet ist, dass die Stille ihnen dabei geholfen hat. Und noch etwas haben die Porträtierten gemein:

Menschen … die vor allen Dingen eint, dass sie große Widrigkeiten in ihrem Leben überwunden haben und damit uns wahnsinnig beispielgebende Vorbilder sind, auch in ihren Geschichten, an denen sie uns teilhaben lassen. Wie sie rangegangen sind, wie sie Ängste überwunden haben, wie sie Berufsziele verwirklicht haben, obwohl Fakten erstmal dagegen sprechen, wenn eine Frau, die  …  ihr Gehör verloren hat, Musikerin werden möchte oder ein Mann, der ohne Augenlicht zur Welt kommt, eben Extremkletterer werden möchte und sie es aber trotzdem hinbekommen haben.

Stille als Lebenskraft

Manu Theobald ist Fotografin und Autorin. In ihrem neuesten Buch hat sie verschiedene Menschen porträtiert, die erzählen, was Stille für sie bedeutet. Was mich beim Lesen besonders erstaunt hat: Alle verbinden  Stille mit Lebendigkeit und Vitalität. Manu Theobald unterstreicht diesen Eindruck:

In der letztendlichen Konsequenz ist das Gegenteil von Stille tatsächlich der Tod, weil mit der Stille fängt ein bewussteres Leben an und damit auch ein sicherlich reichhaltigeres Leben. … Im Alltag, könnte man sagen, gibt es viele Gegenstücke zu Stille, die natürlich mit Lärm zu definieren sind. Oder auch Bewegungsstarre. … vielleicht auch Grobheit, Unbewusstheit, all das, was eigentlich verhindert, das Lebenzu huldigen.

Darum geht es Manu Theobald – dem Leben zu huldigen und es zu feiern.

eine Hommage an das Innehalten und Lauschen. Eine Einladung, sich mit allen Sinnen für das Wunder Leben zu öffnen.

Und dabei zu neu zu spüren, wie alles Lebendige miteinander verbunden ist. Als Theologin würde ich sagen: einzuüben, sich als Geschöpf zu verstehen. Manu Theobald kann das am Besten in der Natur:

weil die Natur uns natürlich sofort vergegenwärtigt, dass wir Teil eines größeren Konzept sind. Und das ist jedem Menschen klar, wenn er in den Sternenhimmel guckt, dass die Dimensionen sehr groß sind und die Relationen auch. Und oftmals relativiert das auch tatsächlich die Probleme oder das Um-sich-selbst-Kreisen… Und tatsächlich ist es in der Natur so, dass man sehr schnell Beobachter wird, anderer und selbstvergessener wird. Und das schätze ich sehr daran, dass es sofort so ein Shiftwechsel gibt.

Neben der Natur sind für mich auch Kirchen solche Orte der Unterbrechung. Wo ich zur Ruhe kommen kann – und es durch die äußere Stille auch still wird in mir. In der Stille spüre ich, wie ich wieder in Kontakt komme mit mir selbst. Meistens hilft mir das im Alltagstrubel besser zu bestehen. Manu Theobald wünscht sich, dass immer mehr Menschen, die Stille für sich entdecken.

ich würde mich freuen, wenn viele Menschen versuchen, Stille in ihren Tag einzubauen, indem sie immer wieder innehalten und anfangen, eine Art geistige Hygiene zu kultivieren. Indem man mitbekommt, was denke ich überhaupt, was passiert gerade eben überhaupt, was gibt es zu tun und damit vielleicht etwas in ihrem Leben kultivieren, was sie mit einer körperlichen Hygiene selbst längst als selbstverständlich empfinden.

Wenn heute an Allerheiligen die stille Zeit im Kirchenjahr beginnt, will ich gerne versuchen, diese Art geistiger Hygiene für mich zu kultivieren. Damit die Stille auch bei mir ankommt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34210
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