SWR1 Begegnungen

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31OKT2021
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Simon Tress

„Ich nenne mich Koch. Ich bin einfach Koch. Ganz einfacher Mensch.“

Da stapelt Simon Tress jetzt ein bisschen tief. Unter Feinschmeckern gilt er als Spitzenkoch. Aber als einer, der auf dem Boden geblieben ist und der seine Wurzeln kennt. Die Wurzeln liegen in Hayingen auf der Schwäbischen Alb. Dort führt er sein eigenes Bio-Spitzenrestaurant und während es viele junge Menschen in die Stadt zieht, ist er mit Anfang 20 damals zurück auf die Schwäbische Alb gezogen. Heute ist er Ende 30 und ich frage ihn, ob er nicht auch mal woanders leben will?

„Nee, eigentlich nicht. Nee, überhaupt nicht. Also ich bin ein brutaler Familienmensch. Das ist das, was uns auch hier auszeichnet. Der Erfolg vom Unternehmen ist die Liebe von uns Brüdern. Wir Brüder, wir lieben uns. Und ich bin jeden Tag echt froh, wenn ich ins Geschäft laufen darf und wenn ich sehe, was wir hier bewegen - gemeinsam. Und deshalb bin ich eigentlich brutal gern hier.“

Den Erfolg, den Simon Tress und seine Familie heute haben, liegt in einer folgenreichen Entscheidung vor 71 Jahren: 1950 entschied sich Simon Tress‘ Großvater dazu, auf biologisch-dynamische Landwirtschaft umzustellen:

„Es war ja alles zerbombt. Es waren ja damals zwei Sachen zu sehen: Auf der einen Seite war alles tot, man musste schnell Lebensmittel produzieren, was natürlich wieder der Industrie zugutekam, und auf der anderen Seite war dann: Ok, wir lassen es nachhaltig und gesund wieder wachsen. Der Opa hat sich halt für den Weg entschieden.“

Für diese Entscheidung haben Landwirte in den 1950er-Jahren noch ordentlich Gegenwind kassiert. Auch Simon Tress selbst. Als Kind waren „Birkenstock“ oder „Grünkernfresser“ noch die harmloseren Schimpfwörter.

„Wir hatten keine schöne Kindheit. Wir haben immer gesagt: ‚Warum haben wir keine normalen Eltern?‘, weil unsere Mutter war ja noch Gesundheitsberaterin, d.h. es gab immer Dinkel und alles mit Honig gesüßt. Bei anderen Kindern gabs immer Kinderriegel und Zeug und Süßigkeiten gabs bei uns ja nie. Unsere Mama war wirklich in dem Bereich straight, aber, weißt du, und das Witzige ist jetzt im Nachhinein muss ich echt sagen: ‚Danke, Mama!‘, weißt du, weil das ist echt so das Thema, was in der heutigen Zeit eigentlich - ‚Ja, ja, selbstverständlich! Nur mit Honig süßen! Zucker das größte Gift! Nur Dinkel und kein Weizen und so!‘, aber meine Mutter hatte das damals schon gemacht. Und deshalb war unsere Kindheit schon anders geprägt natürlich.“

Heute kocht Simon Tress in seinem eigenen Restaurant nur mit Zutaten, die er im Umkreis von 25km bekommen kann. Als ich ihn frage, was ein guter Koch mitbringen muss, hätte ich mit Vielem gerechnet, aber nicht mit „Gottvertrauen“:

„Es ist immer ein Talent da, sonst wäre man nicht erfolgreich. Und es ist natürlich auch viel Fleiß da. Aber trotzdem würde ich sagen, es sind immer so 10-15%, die kannst du nicht beeinflussen. Jetzt können wir von Glück reden oder von göttlichem Beistand; von dem können wir reden.

Ich spreche mit Simon Tress, Spitzenkoch mit einer Mission.

„Unsere Mission ist eigentlich schon, dass wir miteinander für Mensch und Natur eigentlich das Beste machen.“

Ganz besonders zum Ausdruck kommt das im neu gegründeten Restaurant „1950“, in dem es das so genannte CO2-Menü gibt.

„Ich hab mir ja vor 10 Jahren die Marke CO2-Menü schon schützen lassen. Und da oben ist es ja so, im ‚1950‘, dass wir fünf Gänge vegetarisch kochen. Wir gehen nicht weiter als 25km Radius für alle Zutaten, bis auf Salz, wir machen unsere Sahne selber, machen unsere Butter selber, machen alle unsere Öle selber, usw., fermentieren viel, machen viel ein...“

... und Fleisch gibt es maximal als Beilage. Der Star ist das Gemüse. Das kommt vom eigenen Acker. Den hat Simon Tress verpachtet. An Heidrun. Sie baut an, was sie will, und Simon Tress verarbeitet, was die Natur und Heidrun ihm liefern:

„Ich hab hier oben eine Bäuerin, die Heidrun. Die Heidrun hat unseren Acker. Der ist 700m entfernt von hier. Und die Heidrun, die zahlt bei uns keinen Cent Pacht. Aber die Heidrun beliefert uns alles und wir kaufen ihr dann natürlich auch alles ab dann. Aber die Heidrun ist frei. Das heisst die Heidrun ist eine glückliche und zufriedene Bäuerin und die Heidrun ist halt kreativ. Warum ist sie kreativ? Weil sie im Endeffekt die Freiheiten hat. Ich sag zur Heidrun: ‚Du, bau halt so von der Menge her an, dass man halt keine Überdimension von jedem hat, aber mach einfach! Mach, was dir Spaß macht! Nicht wir machen den Teller, sondern die Natur macht den Teller. Und darum geht´s doch eigentlich.“

Schöner Gedanke! Und wenn die Natur den Teller macht, dann könnte Gott ja auch ein Koch sein:

„Äh, nö. Gar nicht. Überhaupt nicht. Ich glaube, der Herrgott ist für uns alle da. Und es ist halt egal, was du machst, egal! Also ich glaube, der ist ein richtiger Tausendsassa. Wirklich, ich glaub, der ist so eine richtige Rampensau.“

Ok, Gott also kein Koch. Aber ich mag es, mir Gott als herzlichen Gastgeber vorzustellen, der bei den Menschen am Tisch sitzt und die Zutaten, mit denen er kocht, liebt. Und vielleicht hat sich Gott die Rampensau und den Tausendsassa ja auch von Simon Tress abgeschaut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34208
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