SWR2 Wort zum Tag

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15OKT2021
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Viele Menschen möchten sich nicht gegen Covid 19 impfen lassen. Aus verschiedenen Gründen, auf die ich gar nicht eingehen möchte. Interessant finde ich die Diskussion, die daraus entsteht. Häufig und nachdrücklich wird von Impfgegnern darauf hingewiesen, dass bei uns eine Zwei- Klassen- Gesellschaft entsteht: Wer der 3- G-Regel gerecht wird, darf an allen Angeboten des öffentlichen Lebens teilhaben, die anderen nicht. Wer sich nicht impfen lässt, nimmt sein Recht wahr, auf eine Impfung zu verzichten. Aber er wird, so der Vorwurf, immer mehr an den Rand gedrängt und gehört immer weniger dazu.

Das ist eine ganz wichtige Diskussion - dort wo sie an der Sache orientiert und respektvoll geführt wird.  Ich möchte dabei allerdings über das Thema Impfen hinausgehen und grundsätzlicher fragen: Wer kann denn überhaupt am öffentlichen Leben teilnehmen? Wer ist in der Lage die -wie es oft heißt -„wiedergewonnene Normalität“ zu genießen? Was muss man mitbringen, um dazuzugehören?

Nicht jeder hat das Privileg „normal“ zu sein. Ich könnte viele Umstände nennen, wegen derer Menschen nicht dazugehören. Ein Beispiel sticht derzeit aber besonders hervor.

Dass es wieder Konzerte und Veranstaltungen gibt, wird oft als Zeichen dafür gesehen, dass der Alltag wieder normal wird. Auch Urlaub ist so ein Zeichen, oder der Besuch im Wirtshaus. Und um daran teilzunehmen, muss man die 3 G Regel einhalten. Dabei wird aber ein G vergessen, das schon lange vor der Pandemie Voraussetzung dafür war dazuzugehören. Dieses G ist das Geld. Wer kein Geld hat, der kann sich kein Konzert, kein Restaurant, keinen Urlaub leisten. Mit oder ohne Impfung. Der oder die lebt sein Leben am Rand, muss sich durchboxen. Arbeitet sich kaputt, ohne dass was übrigbleibt. Die Pandemie hat das alles noch verschlimmert.

Ich vermute, die Zahl der Ungeimpften wird sinken - die der Armen aber wird steigen. Auch wegen Corona und seiner Folgen. Um das Nichtimpfen wird viel Aufhebens gemacht, Impfkritiker bekommen viel Aufmerksamkeit. Ich wünsche mir diese Aufmerksamkeit für die, die schon immer weitgehend ausgeschlossen waren. Und noch mehr wünsche ich mir bessere Umstände für all diese Frauen und Männer. Nicht nur für die, die kein Geld haben. Wir alle wissen, dass es noch viel mehr Gruppen gibt, die nicht wirklich dazugehören. Das ist schon seit Tausenden von Jahren so und scheint ganz normal. Und deshalb wäre es vielleicht gut, nicht die alte Normalität 1 zu 1 wiederzugewinnen, sondern sich eine neue, zu schaffen: ohne Barrieren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34065
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