Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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06OKT2021
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„Was kann ich für Sie tun?“ Oft werde ich mit dieser Frage begrüßt, wenn ich ein Geschäft betrete oder bei einer Firma anrufe. Das fühlt sich gut an. Hier bin ich richtig. Natürlich weiß ich, dass gute Verkäuferinnen in guten Geschäften darauf geschult sind, die Kunden freundlich zu umwerben, denn schließlich wollen – oder müssen – sie ja verkaufen, das ist ihr Beruf.

Es gibt auch andere Geschäfte. In denen kauf ich viel öfter ein, nichts Besonderes, eher das ganz Alltägliche, was man eben laufend so braucht. Da fühle ich mich nicht so hofiert. Zum Beispiel in dem Discounter, zu dem ich eigentlich nur deshalb gehe, weil er ganz in der Nähe ist. Dort arbeiten nur Frauen, meist ziemlich jung, alle sprechen sie gut Deutsch, aber fast alle mit Akzent, der auf eine Migrationsgeschichte hinweist. Ich kenne ihre Gesichter, sehe sie arbeiten, sonst weiß ich nichts von ihnen.

Wenn ich solche Geschäfte betrete, werde ich nicht gefragt: „Was kann ich für Sie tun?“. Natürlich nicht. Aber wenn ich den Stress in den Gesichtern sehe, möchte ich manchmal fast den Spieß umdrehen und fragen: „Was kann ich für Sietun?“ Was kann ich als Kundin dazu beitragen, dass die MitarbeiterInnen ihre Arbeit gut bewältigen können? Ihre Arbeit, die weder leicht ist noch gut bezahlt, und auch nicht besonders hoch angesehen. Und dabei doch so notwendig. Was kann ich als Kundin für sie tun? Natürlich frage ich sie das nicht. Aber wenn ich mich selbst frage, verhalte ich mich anders. Ich bin aufmerksam, wenn ich sie mit den schweren Staplern durch die schmalen Gänge fahren sehe, und mache Platz, bevor sie mich darum bitten müssen. Und wenn ich an der Kasse mal länger warten muss, dann wart ich eben, und ruf nicht sofort nach einer weiteren Kassiererin. 

Es hilft, wenn ich in Gedanken mal kurz die Rolle wechsle und mich in die Verkäuferin und ihre Arbeit reinversetze. Dann komm ich ganz von selbst drauf, was ich dazu beitragen kann, dass ‚der Laden läuft‘. Nicht nur im Supermarkt, das gilt auch im Zug, im Krankenhaus, auf der Autobahn… Damit die Frauen und Männer, die überall dort arbeiten, spüren: Andere sehen, was ich jeden Tag leisten muss, damit sie alles bekommen, was sie brauchen. Meine Arbeit ist was wert. Ich bin was wert. Auch wenn das auf dem Lohnzettel nicht so deutlich wird. Leider.

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