SWR2 Wort zum Tag

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09OKT2021
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Kann man über Engel heutzutage noch ernsthaft reden oder schreiben? Der Leipziger Dichter und Theologe Christian Lehnert hat darüber jedenfalls ein faszinierendes Buch geschrieben. „Ins Innere hinaus“ heißt es. Schon der Titel klingt geheimnisvoll.

In Engeln und Mächten verdichten sich für Lehnert konkrete existentielle Erfahrungen. Und zwar meist dort, wo ein Mensch in eine außergewöhnliche, extreme, oft bedrohliche Lebenssituation gerät.

Dann zeigt sich, dass es noch einen weiteren, größeren Raum gibt als den, in dem wir uns normalerweise eingerichtet habe. In einer Lebenskrise, einer schweren Krankheit vielleicht oder da, wo ich mich von einem Menschen trennen muss, wird die glatte Oberfläche des Lebens rissig. Aber auch durchlässig. 

Allerdings, so beobachtet Lehnert, Engel sind bei uns, so wie manche In-sektenarten, vom Aussterben bedroht.

„Fahrlässig gering“, schreibt er, „ist das Interesse an der Suche nach den Gründen. Überall finden sie nur jene abgedichteten Subjekte, Seelen in Monokulturen, solche Wesen, denen der methodische Abstand, die Distanzierung, die Unempfindlichkeit, die Position des unbeteiligten Dritten zur zweiten Haut geworden sind.“

Diese „abgeschlossene Diesseitigkeit“ sei in die Mitte der Gesellschaft einzementiert wie einst die Dogmen in Zeiten der Inquisition. Um sie aufzubrechen, bedarf es der Sprache der Poesie. Sie vermag auszusprechen, was der Sprache der Fakten verschlossen bleibt.

Ich persönlich finde eine der schönsten Aussagen über Engel im Alten Testament. Im Psalm 91: „Gott hat seinen Engeln befohlen über dir, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.“.

Viele Menschen haben sich dieses Wort als Lebensmotto ausgesucht. Als Leitspruch auch bei Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen. Vielfach wurde es in Musik umgesetzt. Und das ist kein Zufall! Denn die Sprache der Musik kommt den Engeln näher als unsere Alltagssprache.

Engel bewegen sich, wie die Musik, in den Resonanzräumen zwischen dem Hier und einem „Drüben“, in einer Aura des Schwebens und Oszillierens. 

Und das vor allem in Situationen, in denen ich erlebe, dass ich das Leben nicht in meiner Hand habe. Mich aber auf geheimnisvolle Weise an der Hand genommen fühle.

Dann, wenn ich spüre, dass ich „Ins Innere hinaus“ geführt werde.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34046
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