SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

08OKT2021
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Die Jakobsbücher“ ist ein Roman der polnischen Literaturpreisträgerin Olga Tokarczuk. Ich habe ihn vor Kurzem mit großer Faszination gelesen. Farbenprächtig und phantasievoll schildert er die Geschichte des Jakob Frank, einer schillernden, historischen Gestalt des 18. Jahrhunderts.  

Eine Szene ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Da sitzt der katholische Pater Chmielowski im Gespräch mit Rabbi Pinkas über eine hebräische Schriftrolle gebeugt. Aber das Erlernen der fremden Sprache bereitet ihm große Mühe.

Seufzend wendet er sich an den Rabbi und sagt: "Würden alle dieselben Bücher lesen und ähnliche Dinge essen, wir würden in der gleichen Welt leben, wäre das nicht besser?" Rabbi Pinkas, ein kluger Mann mit wachen Augen, antwortet ohne zu Zögern: "Alles Unheil der Welt lässt sich auf diesen Wunsch zurückführen." 

Den Wunsch, alles zu vereinheitlichen, ich kann ihn gut verstehen. Man fühlt sich wohler unter seinesgleichen. Aber was heißt das in der Praxis?

Alle sprechen dieselbe Sprache? Denken in die gleiche politische Richtung?  

Letztlich, da bin ich mir sicher, führt dieser Wunsch zu Langeweile, Ausgrenzung und Unmenschlichkeit. Denn Menschen sind und bleiben nun einmal verschieden. Sie kleiden sich unterschiedlich, lesen unterschiedliche Bücher und entwickeln unterschiedliche Vorlieben.

In unserer Welt, die jeden Tag stärker zusammenwächst, wird zudem der Umgang mit Verschiedenheit zu einer täglichen Herausforderung.

Ein biblischer Gedanke hilft mir dabei. Dass wir nämlich - mit allen unseren Unterschieden - Geschöpfe des einen Gottes sind. In Psalm 8 heißt es: „Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn wenig niedriger gemacht als Gott, mit Ehre und Herrlichkeit hast Du ihn gekrönt.“

Das heißt, Gott nimmt sich jedes Einzelnen an. In seiner Einmaligkeit. Aber auch in seiner Verschiedenheit gegenüber anderen.

Ich möchte, wie Olga Tokarcuk es in ihrem Roman tut, diese Verschiedenheit nicht als ein Manko zu begreifen, sondern als eine lohnende Aufgabe.  

Sich fremd zu sein, ist ja zunächst einmal etwas Normales. Aber nichts hindert mich daran, mich zu bemühen, anderen Menschen näher zu kommen. Indem ich Brücken baue, wo es geht. Barrieren abbaue.

Vor allem aber selbst gut damit leben kann, dass Andere anders sind als ich.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34045
weiterlesen...