SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

07OKT2021
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Wie haben Sie diesen Sommer erlebt? Begeistert, dass Urlaub, in einem bestimmten Rahmen jedenfalls, wieder möglich war? Oder eher ferienmüde?

„Ferienmüde“, heißt der Titel einer kleinen Publikation des Kulturwissenschaftlers Valentin Groebner. Und im Untertitel: „Als das Reisen nicht mehr geholfen hat“. 

Ich habe das schmale Büchlein in meinen letzten Ferientagen gelesen. Und es hat mich heftig ins Nachdenken gebracht. Denn es geht um die Entzauberung des Mythos vom „schönen Urlaub“. Der „schöne Urlaub“ erweist sich, so der Autor, je länger je mehr, als „schöner Schein“.

Die angeblich unberührten Landschaften: übervölkert. Die vermeintlich authentische Bevölkerung am Reiseziel: bei genauem Hinsehen schwer arbeitende Kellner und Putzfrauen, die in der Tourismusindustrie tätig sind. Die sogenannten „Geheimtipps“: millionenfach von Reiseführern und sozialen Medien propagiert. Und darum längst keine Geheimtipps mehr. 

Am Ende zieht der Autor dennoch ein hoffnungsvolles Fazit: „Die Krise vom Frühjahr 2020“, schreibt er, „ist die Möglichkeit, der unablässigen Wiederholung der eigenen Wünsche von früher zu entkommen... Der wirkliche Luxus ist jetzt schon Weglassen-Können und Beweglichkeit. Das Reisen der Zukunft wird mit leichterem Gepäck stattfinden, deswegen über kürzere Distanzen.“ Aber vor allem mit der Bereitschaft, dass ich wieder Platz lasse für Unvorhergesehenes.

Wenn ich mich darauf einlasse, dann kann Ferienmüdigkeit, finde ich, zu einer kreativen Erkenntnis führen. Dass ich nämlich zur Erholung gar nicht weit weg muss. Weil es in erster Linie darum geht, den Alltag und seine eingespielte Routinen zu unterbrechen. 

Auf diese Weise lerne ich auch wieder, was holidays von der Wortbedeutung ursprünglich waren: holy days. Heilige Tage. Zeiten, in denen die gewohnten Abläufe für eine Weile ausgesetzt wurden.

Und so frage ich mich: Was hat in meinem Leben eine Unterbrechung verdient? Wo überlagern eingespielte Routinen meine Fähigkeit, bislang unbeschrittene Wege zu gehen? 

Für mich heißt die Antwort: Ich gönne mir hin und wieder die Kunst der Unterbrechung. Ich entrümpele meinen Terminkalender. Ich versuche, dem Überraschenden und Unvorhergesehen Raum zu lassen.

Und das gilt nicht nur für die Ferienwochen. Sondern ist ein guter Plan auch für den Alltag. Ich hoffe jedenfalls, dass ich so der Ferienmüdigkeit zuvorkomme.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34044
weiterlesen...