SWR1 Begegnungen

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03OKT2021
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Helga Schubert Foto: privat.

TEIL I

… und mit Helga Schubert. Sie ist Schriftstellerin und Psychologin. Ihr Buch „Vom Aufstehen“ hab ich verschlungen - mehrmals. Ich liebe Lebens- und Familiengeschichten. Und genau das ist „Vom Aufstehen“. In Erzählungen bringt die 80-jährige Helga Schubert ihr Leben auf den Punkt. Klar und präzise, unpathetisch, oft so schmerzhaft, dass man weinen könnte und dann wieder befreiend zum Lachen.
Mich begeistert diese wache, offene Dame, deren Leben alles andere als leicht war. Geboren im Zweiten Weltkrieg, aufgewachsen mit einer kühlen und übergriffigen Mutter, der Vater gefallen, Flucht, Vertreibung, Neustart, als Christin leben in der DDR und schließlich in der Bundesrepublik, eine komplexe Familiengeschichte, Krebserkrankung und jetzt mit über 80 Jahren Vollzeitpflege ihres schwerkranken Mannes. Ich will erstmal wissen, wie sie das eigentlich alles geschafft hat und ja auch heute immer noch schafft.

Indem man es annimmt, das ist wirklich meine einzige Antwort nach den vielen Jahrzehnten, die ich selbst in der Psychotherapie gearbeitet habe und in der ich einfach diesem Leben so gegenübergestanden habe, bis ich gedacht habe das nehme ich jetzt an.
Das hört sich vielleicht ganz einfach an, aber das ist die Lösung.
Wenn man dann auf irgendeine Weise noch eine Distanz dazu kriegt, die aber nur durch Humor kommen darf. Die Distanz, die muss dadurch kommen, dass man sich auch relativiert, dass man das eigene Leben relativiert und einfach weiß, es gibt etwas viel Größeres als dieses eigene Leben. Und daran glaube ich.

Helga Schubert ist evangelische Christin und ihr Glaube ist aus ihrem Leben nicht wegzudenken. Obwohl Ihre Eltern selbst nicht gläubig waren. Für Helga Schubert ist Gott…

Ein ganz gutes konstruktives Prinzip, in dem ich lebe. Dann bin ich da drin und fühle mich geborgen und versuche einigermaßen, ich kleiner Mensch so.
das alles zu schaffen und vernünftig zu sein.

Wodurch bin ich jetzt gläubig geworden? Ich bin dadurch gläubig geworden, dass ich gemerkt habe, was es für eine unglaubliche Wärme bedeutet, wenn man gesegnet wird, wenn man zu etwas dazu gehört, was ruhig, vernünftig, warmherzig und dann auch noch geborgenheitsspendend ist. Ja, dass es friedlich ist.

Geborgen sein. Was Helga Schubert im Glauben erfährt, konnte ihre Mutter ihr nicht geben. Von ihrem schwierigen Verhältnis zur Mutter und was der 3. Oktober für sie bedeutet, hören Sie nach der Musik.

 

TEIL II

… und mit der Autorin Helga Schubert, die mit ihrem Buch „Vom Aufstehen“ den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat. Sie erzählt darin ihre Lebens- und Familiengeschichte. Die ist geprägt von einem schwierigen Verhältnis zu Ihrer Mutter.

Ich bin mit sehr hasserfüllten Worten großgeworden, also von meiner Mutter aus, einer großen Kühle. Das ist keine Ambivalenz gewesen mir gegenüber, sondern es war eigentlich eine eindeutige Ablehnung meiner ganzen Person.

Helga Schubert selbst wirkt aber alles andere als kühl und distanziert. Wie kam es zu Wärme und Zuneigung in ihrem Leben? Wie konnte sie das trotzdem entwickeln? Das ging dadurch…

Dass ich mir das woanders gesucht habe und dass ich es woanders gefunden habe.
Also ich bin in meinem ganzen Leben noch nie entmutigt gewesen, dass ich die Wärme irgendwo finden könnte.

In der Beziehung zu ihrer Mutter gab es für Helga Schubert so etwas wie einen Erlösungsmoment. Das war im Gespräch mit einer Kurpastorin an der Nordsee. Sie erzählt dort, wie schwierig es mit ihrer Mutter ist und sagt:

Ich möchte als Christin das vierte Gebot erfüllen. Und das ist der Grund, dass ich jetzt zu Ihnen gekommen bin.

Wie ist denn Ihrer Meinung nach das vierte Gebot?

Ich hab gesagt: du sollst deinen Vater und deine Mutter lieben, auf dass es dir wohl gehe und du lange lebest auf Erden.

Ja sagt sie, da haben sie einfach nur ein Verb falsch erinnert: du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren und das kann man mit Absicht machen und lieben ist freiwillig.
Und ihre Mutter ist auch nicht gezwungen, sie zu lieben.

Diese Frau hat mir unglaublich geholfen.

Meine Mutter oder meine Kinder nicht zu lieben, kann ich mir nicht vorstellen.
Aber ich kann mir vorstellen, dass es für Helga Schubert entlastend war, weil es von ihr selbst und von ihrer Mutter den Druck genommen hat: Du musst Deine Mutter oder Deine Tochter lieben.

Nicht nur die Kindheit war durch schwierige Umstände geprägt, auch ihr Leben in der ehemaligen DDR. Deshalb interessiert mich natürlich heute am Tag der Deutschen Einheit, was der 3. Oktober für Helga Schubert bedeutet.

Also das ist auch eine Art von Erlösung. Das ist eine äußere Erlösung, die wirklich bei mir ein großes Glücksgefühl immer wieder hervorruft. Dass wir eine Diktatur überwunden haben mit friedlichen Mitteln.
Dass es nun außerdem auch noch ein einheitliches Deutschland geworden ist. Das ist das Sahnehäubchen auf der ganzen Sache. Das Wichtigste ist diese Diktatur der DDR mit friedlichen Mitteln zu Fall gebracht zu haben.
Dass ich in einem Europa lebe und in einem Land, in dem die Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet ist, ist für mich das Wichtigste. Weil daraus alles andere folgt.
Daraus folgt alles. Ich kann wählen. Ich kann nicht wählen. Ich kann mich informieren. Ich bin nicht eingesperrt, ich werde nicht überwacht. Das sind alles Dinge, die zu einem Lebensglück beitragen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34040
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