Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

11OKT2021
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Meine Bekannte in Bad Kreuznach, die traut sich was. Als ein Mann vor der Bank sitzt, zusammengekauert, zerrissene Klamotten, noch recht jung, geht sie auf ihn zu, gibt ihm was und fragt: „Wie sind Sie denn in diese Situation gekommen, darf ich das überhaupt fragen?“ Und der Mann, verwundert, aber sichtlich auch berührt meint: „Na klar! und beginnt zu erzählen.

Eine lange Geschichte, voller Pech, Schmerzen und Zusammenbrüchen, die man keinem Menschen wünschen möchte. Wir hören ihm aufmerksam zu und haben beim Abschied das Gefühl, dass wir einander nicht mehr fremd sind.  Ein Obdachloser von rund 40.000. Und weit höher ist noch die Zahl der sogenannten Wohnsitzlosen. Wir leben in einem reichen Land.  Zum Glück gibt es Zeichen der Solidarität und Hilfe. Und es gibt staatliche, kirchliche und anderweitige Bemühungen für Obdachlose.

Aber daneben gibt es unzählige Hürden und oft die Haltung – das geht mich nichts an. Ich glaube, es kann manchmal schneller gehen, als man denkt, so ein Strudel, der einen nach unten reißt. So wie der Mann es uns erzählt hat. Trotz aller Vorsorge – für manche Menschen gibt es psychische, private oder berufliche Krisen, die sie zugrunde richten. Ganz sicher ist man davor nie. Dann braucht man Solidarität. Meine Bekannte lebt nach dem Grundsatz: Das könnte mein Bruder sein. Und warum sollte ich nicht mit dem reden? Was auch immer er vielleicht mit beigetragen hat zu seinem Schicksal oder was auch passiert ist – Schweigen macht das nicht besser. Sie hat ihn an- und ernstgenommen. Und hat im Leben des Mannes einen Unterschied gemacht. Sein Gesicht hat sich verändert nach dem Gespräch. Nicht, dass er danach mehr Geld oder eine Wohnung gehabt hätte, aber er hat an diesem Tag erlebt: Da sieht und hört mich jemand.

Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan! So sagt es Jesus. Für mich heißt das: Bei Gott ist niemand „gering“ - weder Bettler noch Bankchef.
Wer aber in der Gesellschaft geringgeschätzt wird, der ist für Gott besonders wichtig.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=34024
weiterlesen...