SWR3 Gedanken

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26SEP2021
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Mein Freund Nico ist Neurowissenschaftler. Er sagt: „Heute ist zwar Wahl, aber eigentlich hast du gar keine Wahl.“ Klingt komisch, aber Nico kennt sich aus. Er forscht daran, was in unserem Hirn passiert, wenn wir Entscheidungen treffen. Er sagt: „Letztlich ist alles in unserem Gehirn nur Chemie, und die läuft nach bestimmten Regeln ab. Wie ich mich entscheide ist außerdem von so vielen Sachen beeinflusst, die ich gar nicht in der Hand habe. Zum Beispiel was ich schon ganz früh als Baby erlebt habe, oder ob ich heute Nacht gut geschlafen habe. Das alles beeinflusst, ob ich mich so oder so entscheide. Neurowissenschaftlich gesehen ist da kein Platz für freie Entscheidungen.“

Wie Nico das als Wissenschaftler sieht, leuchtet mir ein. Ich entscheide mich von morgens bis abends, und meistens geht das ganz schnell und intuitiv, ohne dass ich groß drüber nachdenke. So komme ich im Normalfall ganz gut durch den Tag. Und doch: Ich meine schon, dass ich mich frei entscheiden kann in vielen Situationen.

Es gibt ja Entscheidungen, da habe ich mehr Zeit zum Nachdenken, und die brauche ich auch, vor allem wenn es um wirklich Wichtiges geht. Ich brauche dann einen ruhigen Moment. Noch einmal Pro und Contra abwägen und dann den Entschluss fassen. Heute zum Beispiel denke ich nochmal nach: Welche Partei hat die besten Vorschläge, wie wir zu einer gerechteren Welt kommen, damit die Schere von arm und reich nicht noch weiter auseinandergeht? Oder welche Partei würden meine Kinder und Enkelkinder wählen? Und wenn mein Kopf sich alleine nicht entscheiden kann, versuch ich auf mein Herz zu hören, das hat meistens auch ein Gespür für das, was gut ist. Und dann heißt es zwei Kreuzchen machen, so wie ich denke, dass es richtig ist. Das ist meine Freiheit.

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