SWR2 Wort zum Tag

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An dieses Frühstücksei werde ich mich mein Leben lang erinnern. Obwohl es ein Ei zum Vergessen war. Es war ein Zwei-Minuten-Ei, handwarm, selbst das Weiße war noch glibberig. Das merkte ich aber leider erst, als das Ei schon geköpft war. Und da saß ich nun beim Frühstück, an einem Pfingstmontag vor über dreißig Jahren – und wusste nicht, was ich um Himmelswillen mit diesem Ei anfangen sollte. Zu Hause hätte ich es einfach stehen gelassen. Ich war aber nicht zu Hause, sondern Gast bei einer Familie in Lille.
In die nordfranzösische Stadt Lille kam ich mit meiner Pfarrgemeinde. Seit einem Jahr bestand eine Partnerschaft zwischen unseren »Pax Christi«-Gruppen. »Pax Christi« heißt auf deutsch „Friede Christi“ und ist eine katholische Organisation der Friedensbewegung. Entstanden ist sie am Ende des II. Weltkriegs in Frankreich. Ihr Ziel: Sie will Franzosen und Deutschen miteinander versöhnen. Aus den lange Zeit verfeindeten Völkern sollen endlich Freunde werden. Am Anfang kümmern sich Mitglieder von »Pax Christi« um deutsche Kriegsgefangene. Dann organisieren sie gemeinsame Gebete und Begegnungen. Die simple aber wirkungsvolle Idee: Wenn Menschen miteinander beten und miteinander sprechen, wenn sie ihren Glauben und ihre Zeit miteinander teilen, dann können sie nicht mehr verfeindet sein.
Über eine solche Begegnung komme ich zu »Pax Christi« - und zu meinem Frühstücksei. Die Franzosen aus Lille waren letztes Jahr bei uns zu Gast, jetzt sind wir an der Reihe. Wir übernachten bei der Familie, die auch schon bei uns gewohnt hat. Wir haben uns angefreundet, haben uns mit Händen und Füßen verständigt. Sind uns nahe gekommen. Und bei uns gab es natürlich am Sonntag das obligatorische Frühstücksei – was die Franzosen nicht kannten. Bei sich zu Hause wollten sie uns dann genauso verwöhnen. Damals hat mich das Ei vor echte Probleme gestellt. Heute symbolisiert es für mich ganz treffend, wie einfach Völkerverständigung sein kann. Einfach, weil es oft schon reicht, zu sehen, was der andere gerne hat und braucht. Wie ein Frühstücksei.
»Pax Christi«-Deutschland wird morgen 60 Jahre alt. Und hat längst die ganze Welt in den Blick genommen. Nicht nur in Frankreich und Deutschland, überall setzt sich »Pax Christi« für Frieden und Versöhnung ein, für Menschenrechte und Gewaltfreiheit. Ich habe gelernt, dass es dafür nicht immer große Programme braucht.
Übrigens: Ich habe das schlabberige Frühstücksei nicht zu Ende gegessen. Aber das hat unserer Freundschaft nicht geschadet. Noch heute, über dreißig Jahre später, haben wir Kontakt zu unseren französischen Freunden. Das nenne ich: gelungene Versöhnung.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=3394
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