SWR2 Wort zum Tag

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01. April 1933. Ab 10 Uhr gilt die Parole: „Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei Juden!“ Es ist ein Samstag, der Sabbat der Juden. Uniformierte und bewaffnete SA-Leute bauen sich vor jüdischen Geschäften, Praxen und Anwaltskanzleien auf. Den so genannten Aprilboykott bezeichneten die Nazis als Vergeltungsaktion und Warnung für das Weltjudentum. Alles hohle Parolen: Vergeltungsaktion wofür? Warnung an wen? Doch es bleibt nicht allein beim Boykott. Jüdische Händler werden angegriffen, Geschäfte geplündert. Wer bei Juden kauft wird bloßgestellt, mit Schildern um den Hals durch die Straßen gezerrt. Darauf der Spruch: „Wir Verräter kaufen bei Juden.“ Wenige Tage später bringen die Nazis das erste antijüdische Gesetz durch, das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Juden werden aus öffentlichen Ämtern vertrieben, wenig später gilt für Apotheker und Lehrer ein Berufsverbot. Dann dürfen jüdische Kinder nicht mehr in Schulen und Hochschulen angenommen werden.
So unfassbar das klingt, die Kirchen reagieren merkwürdig zwiespältig. Viele Christen zeigen ihre Solidarität, wenn auch meistens unter der Hand. Man hat Mitleid, ist betroffen. Doch die offiziellen Kirchenvertreter zeigen größtenteils einen anderen Geist. Der Brandenburger Bischof Otto Dibelius etwa darf ungestraft sagen: „Man kann nicht verkennen, dass bei allen zersetzenden Erscheinungen der modernen Zivilisation das Judentum eine führende Rolle spielt.“
Ein unsinniger und unseliger Satz. Ein Satz, der mich wütend macht. Weil er so offenkundig falsch ist. Weil er mit Vorurteilen spielt. Weil er zu gut geeignet ist, um die Judenvernichtung im Dritten Reich schon vorab zu rechtfertigen. Mich packt deshalb heute noch das Grauen angesichts solcher und ähnlicher Sätze. Zumal der Ungeist dieser Zeit immer wieder aufflammt. Auch heute. Auch unter Christen.
Dabei haben die Kirchen nach 1945 klipp und klar festgehalten: Die Juden sind die älteren Geschwister der Christen. Sie sind in der Bibel das Volk Gottes. Und nicht zuletzt: Jesus war Jude. Das ist mittlerweile vielleicht eine Binsenweisheit. Aber man kann sie gar nicht oft genug aussprechen. Jesus ist als Sohn einer jüdischen Mutter geboren. Er hat als Jude gepredigt und geheilt. Er ist nicht zuletzt als ‚König der Juden’ verspottet und gekreuzigt worden. Das schließt die Auseinandersetzung mit Juden und dem jüdischen Glauben nicht aus. Auch Geschwister können und dürfen unterschiedlicher Meinung sein. Aber das gibt niemals das Recht, Juden auszugrenzen oder ihnen Gewalt anzutun. Weder am 1. April 1933 noch am 1. April 2008.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3393
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