SWR4 Abendgedanken

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16SEP2021
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Das habe ich als Kind immer gern gemacht: Eine Pusteblume pflücken, sie noch einmal anschauen und dann pusten. Und schon ist nur noch der Stängel da. Und überhaupt dieses Wunder: Löwenzahn. Erst blühen sie leuchtend gelb. Dann werden sie auch Butterblumen genannt. Wenn dann die Blüten welk werden, verwandeln sie sich in diese wundersamen Pusteblumen. Die Samen der Pflanze bekommen kleine Schirmchen zum Fliegen. Wie sich alles wandelt – wie schon ein kleiner Windhauch alles verändert! Nicht nur der Pusteblume geht es so.

In einem Psalm im Alten Testament der Bibel heißt es:

Ein Mensch ist vergänglich wie das Gras,

er blüht wie die Blume auf dem Feld:

Ein heißer Wind kommt – schon ist sie fort.

Der Ort, wo sie stand, weiß nichts mehr von ihr. (Ps 103,15-16)

Dass es auch mir selbst so gehen soll, das ist schon schwerer verdaulich. Mein menschliches Leben soll sein wie Gras? Irgendwann einfach nicht mehr da? Natürlich weiß „man“ das, aber schön fühlt es sich irgendwie nicht an. Vielleicht sogar ein bisschen beängstigend.

Vieles wird deshalb darangesetzt, dieses beängstigende Gefühl zu vertreiben. Möglichkeiten dazu gibt es genug.

Etwas anderes ist es, sich diesem „Sein wie Gras“ zu stellen. In einem anderen biblischen Buch tut das der sogenannte "Prediger". Er beschreibt es so: „Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch." (Koh 1,2)

Er hat beobachtet, was Menschen auf der Erde tun und kommt für sich zum Schluss, dass alles vergeblich ist. Es kommt ihm vor wie das Jagen nach dem Wind. (Koh 1,14) Er entschließt sich, das Leben zu genießen und glücklich zu sein. Aber selbst das kommt ihm vergeblich vor. (Koh 2,1)

Meine Erfahrungen sind da schon anders. Besonders wenn ich an Wiesen entlanggehe und die vielen verschiedenen Blumen sehe, genieße ich mein Leben. Ich bin glücklich, wenn ich diese Schönheit sehe. Und auch, wenn der Windhauch über die Pusteblume bläst, ist es nicht vergeblich, dass die Butterblume so leuchtend gelb geblüht hat.

„Das alles hat Gott schön gemacht zu seiner Zeit.“ (Koh 3,11) So sagt Kohelet an anderer Stelle. Wie auch: "Überdies hat er die Ewigkeit in das Herz der Menschen gelegt." (Koh 3,11). Die Vergänglichkeit des Augenblicks und die Unergründlichkeit der Ewigkeit: Offenbar gehören sie zusammen. Verstehen kann man das nicht. Aber: Ich möchte dem Windhauch nachspüren, den Augenblick kosten, der mir heute geschenkt ist.

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