SWR3 Gedanken

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16SEP2021
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Ich bin bei einem Vortrag mit Jugendlichen. Die bereiten sich in meiner Kirchengemeinde auf ihre Firmung vor. Nicht alle haben Lust dazu, aber der Typ vorne am Mikrofon kriegt es hin, dass alle zuhören. Er heißt Michael Stahl, ist ein harter Kerl, Bodyguard und Kampfsportler und er ist überzeugter Christ. Er erzählt: „Mein Vater war ein Trinker. Er hat mir ständig gesagt: du bist nichts und du kannst nichts. Als ich mit acht oder neun Jahren meinen Vater gefragt habe, was ich zum Geburtstag geschenkt bekomme, da hat er mir ins Gesicht gespuckt.“ Die Geschichte ist heftig und doch oder gerade deshalb hängen die hundert Jugendlichen an den Lippen von Michael Stahl. Der erzählt weiter: „Viele Jahre hatte ich keinen Kontakt zu meinem Vater, die Beziehung zu ihm war eine Katastrophe. Ich wollte ihn immer verändern. Hör auf zu trinken, mach das so oder so. Aber dann ist mir wie in einer Eingebung klar geworden: Ich muss meinen Vater um Vergebung bitten.“ An der Stelle werden die Jugendlichen unruhig. Einer traut sich und fragt: „Warum hast du das gemacht? Er muss sich doch entschuldigen, nicht du.“ Darauf die Antwort: „Ja, mein Vater hat mich furchtbar behandelt. Ich wollte ihn immer ändern, aber damit war auf einmal Schluss. Ich habe zu meinem Vater gesagt: `Deine Schuld ist nicht mehr wichtig.´ Ab da konnte er sich öffnen und ich auch.“

Viele Jugendliche waren nach dem Vortrag total beeindruckt, auch ich. Und trotzdem verstehe ich auch, wenn es mal nicht klappt mit dem Verzeihen. Manchmal können Menschen einander so Furchtbares antun, dass das einfach nicht möglich ist und auch niemand verlangen kann.

Und trotzdem bin ich beeindruckt von Menschen wie Michael Stahl, die das hinbekommen. Es kann sich nämlich so viel ändern, wenn mir jemand sagt, dass meine Schuld nicht mehr wichtig ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33914
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