SWR3 Gedanken

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15SEP2021
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Meine Bekannte ist irgendwie komisch. Sie kann wegen einer Kleinigkeit platzen, dann geht sie kurz raus und kommt ganz anders wieder. Manchmal zittert sie stark und ihre Wohnung ist für ihr ganzes Umfeld tabu. Ich finde das alles sonderbar und ich überlege immer wieder, ob ich sie ansprechen soll.

Ich frage eine Freundin um Rat und sie erzählt mir das hier:

In der Wohnung neben ihr wohnt ein Mann, der hat jahrelang allen etwas vorgemacht. Seiner Schwester, dem Bruder, den Nachbarn. Nach außen hin hat alles gut ausgesehen. Er war immer gepflegt, wenn er aus der Wohnung gekommen ist, nur reingelassen hat er nie jemanden.

Vor ein paar Wochen ist er zuhause gestürzt und konnte nicht mehr aufstehen. Am Ende hat die Feuerwehr die Wohnungstür aufgebrochen und dann haben alle gesehen, was wirklich bei ihm los ist. Die ganze Wohnung voller Flaschen, der Mann hat nie aufgeräumt und nie geputzt. Seine Geschwister waren geschockt und machen sich Vorwürfe: „Warum haben wir das nicht bemerkt? Dass unser Bruder trinkt und Hilfe braucht.“

So etwas gibt es leider viel zu oft. Dass Menschen in ein Doppelleben rutschen, ihren Lieben etwas vormachen und einfach nicht sagen können, was mit ihnen los ist. Vielleicht ist das bei meiner Bekannten ähnlich. Ich sollte sie auf jeden Fall ansprechen. Aber das fühlt sich heikel an. Jeder Mensch hat das Recht auf Privatsphäre und einfach so einmischen, das mögen viele nicht.

Wenn ich sie anspreche, brauche ich Mut, und sei es nur für dieses eine vorsichtige Angebot. Zwei Sätze, die vielleicht auch dem Nachbarn meiner Freundin geholfen hätten. So etwas wie: „Du, ich mache mir Gedanken um dich. Kann ich irgendwas tun?“

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