SWR2 Wort zum Tag

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10SEP2021
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Armut erscheint für viele in Deutschland weit weg. Ist sie aber nicht. Das zeigt der Dokumentarfilm „Frosch im Schnabel“, der gerade beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen läuft. Er erzählt von Armut in meiner unmittelbaren Nachbarschaft.

Für einen persönlichen Zugang zum Thema Armut, lade ich Sie zu einem kleinen Selbstexperiment ein. Denken Sie doch einmal an die Zeit zurück, die Sie in der Coronazeit am schwierigsten fanden. Manche hatten vielleicht finanzielle Einbußen. Oder Sie haben soziale Kontakte schmerzlich vermisst. Vieles hat sich instabil angefühlt und bewährte Wege, sich zu erholen oder neue Kraft zu schöpfen, fielen weg – der Sport etwa oder kulturelle Veranstaltungen. Wir waren auch abhängiger als sonst: vom Virus, von der Politik, von Impfterminen. Und dann dieses Homeoffice: Tagelang in ollen Klamotten am PC und der letzte Friseurtermin schon viel zu lange her. „Wir waren arm dran in dieser Zeit“, das würden wohl viele rückblickend sagen.

Dabei lässt sich in diesen Erfahrungen bloß manches von dem vorsichtig erahnen, was Menschen, die materiell arm sind, tagtäglich erleben. Das zeigt der Film „Frosch im Schnabel“ eindrücklich. Häufig resultiert Armut aus dem Wegfall von stabilisierenden Faktoren, etwa aus einer Trennung, einer psychischen Krankheit oder aus dem Verlust des Arbeitsplatzes. Das sind alles Dinge, die jedem passieren können. Skandalös, wie leicht daraus bittere Armut wird. Wer erst einmal arm ist, der fühlt sich oft isoliert und einsam; er hat weniger Chancen am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Auch gesunde Formen der Krisenbewältigung, etwa über Musik oder Sport, sind schwer erreichbar. Schöne Kleidung oder ein Friseurtermin, der die Laune hebt und das Wohlbefinden stärkt, erscheinen als Luxus.

Wie wichtig es ist, den ganzen Menschen zu sehen – mit seinem Bedürfnis nach Schönheit, nach Kultur, Teilhabe und Selbstwirksamkeit, aus dieser Erkenntnis heraus lebt die Mannheimer Vesperkirche. Von der handelt der Film „Frosch im Schnabel“. Vier Wochen lang gibt es dort jeden Winter ein Mittagessen für Bedürftige, aber eben nicht bloß Essen: Es gibt Nahrung für Leib und Seele – beim gemeinsamen Mittagessen und beim liebevoll selbstgebackenem Kuchen, in Gottesdiensten und Seelsorgegesprächen. Der Besuch im Friseursalon ist kostenlos. Eine Rechtsberatung stärkt Menschen den Rücken. Der Vesperkirchenchor lädt die Gäste dazu ein, ihre Stimme zu erheben.

Wer sich berühren lassen will von einer Welt, die oft weit weg erscheint, aber ganz nah ist, nicht nur im Winter, dem sei der Film von Stefan Hillebrand sehr ans Herz gelegt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33882
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