SWR2 Wort zum Tag

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07SEP2021
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Haben Sie eine Vorstellung von Gott? Auf diese Frage hat die Schriftstellerin Judith Hermann in einem Interview vor kurzem geantwortet: „Ich möchte mir keine unverankerte Welt vorstellen.“ Das fasziniert mich und lässt mich seither nicht mehr los.

Ich habe mir überlegt, was ich selbst wohl auf diese Frage geantwortet hätte, und gleich sind mir viele verschiedene Bilder eingefallen: „Gott ist Sonne und Schild“. Ein Vers aus einem meiner Lieblingspsalmen. Oder die Strophe aus dem Lied, in dem Gott als „Freundin des Lebens“ angesprochen wird. Gerade habe ich ein großformatiges Bild zum Rahmen gebracht, das über dem Bett meiner Großeltern hing und eine Schafherde in einer lieblichen Wiesenlandschaft zeigt. Erst auf den zweiten Blick entdeckt man darauf auch den guten Hirten, eines der bekanntesten christlichen Gottesbilder. Mir gefällt aber auch die Vorstellung aus der islamischen Mystik, dass Gott 99 Namen hat und den hundertsten vor uns geheim hält, damit wir ihn nie in seiner ganzen Fülle begreifen. Zu dieser Fülle gehören für mich auch die Vorstellungen, die Konfirmandinnen und Konfirmanden im Lauf der Jahre zu den biblischen dazu gelegt haben: Gott ist mein spirit, mein move, meine Festplatte …

Aber niemals wäre ich auf die Idee gekommen, auf die Frage nach meiner Vorstellung von Gott mit meiner Vorstellung von der Welt zu antworten: „Ich möchte mir keine unverankerte Welt vorstellen!“, sagt die Schriftstellerin. Dabei enthält ja auch ihr Satz ein starkes Bild. Aber sie sagt eben nicht: „Gott ist für mich der Anker, der die Welt im Innersten zusammenhält“, sondern formuliert viel vorsichtiger? Vielleicht auch trotziger? einen Wunsch: Was da bei mir mitschwingt: Ich will jedenfalls nicht, dass die Welt zum Teufel geht!

Ich habe zwar keine genaue Vorstellung von Gott, aber es wäre schon schön, wenn da eine wäre, die die Welt behütet wie ihren Augapfel. Ich kann zwar nicht immer dran glauben, aber ich will mir lieber nicht ausmalen, dass die Erde ziellos durchs Weltall treibt.

Auch ich bin immer wieder auf der Suche nach Bildern von Gott, in denen meine Sehnsucht wohnen kann. Und freue mich, wenn ich unterwegs anderen begegne, die dieselbe Sehnsucht umtreibt. Denn auch ich möchte mir gewiss keine unverankerte Welt vorstellen.

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