SWR2 Wort zum Tag

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06SEP2021
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In den Pfingstferien bin ich ins Sauerland gefahren. Dorthin gelockt hat mich der Bericht über ein aufsehenerregendes neues Altarbild in der Kirche St. Clemens in Drolshagen. Ein Foto in der Zeitung hat mich neugierig gemacht. Auf den ersten Blick sieht es nämlich so aus, als   würde man auf diesem Bild die Kirchendienerin, den Hausmeister und vielleicht eine FSJlerin beim Frühjahrsputz überraschen: Unter dem goldenen Kreuz im Altarraum stehen drei Leute auf Leitern und reichen sich Staubwedel und Malerzeug hin und her. Und mein erster Gedanke ist: Da hat jemand endlich mal den Alltagsheldinnen und –helden der Kirchengemeinde ein Denkmal gesetzt! Die fleißigen Geister, die stets im Hintergrund dafür sorgen, dass alles glänzt und am rechten Fleck steht, sind hier großflächig in Szene gesetzt.

Sogar Martin Luther hätte seine helle Freude, wenn er sehen könnte, dass mitten in dieser katholischen Kirche seine Ansicht vom Priestertum aller Getauften abgebildet ist: Männer und Frauen kommen bei der alltäglichen Arbeit, „in ihrem Beruf und Stand“, ihrer Berufung nach und sind so und nicht anders  - Heilige. Das finde ich großartig!

Ganz so verhält es sich dann aber doch nicht, habe ich vor Ort erfahren, als ich mit anderen Besuchern der Kirche ins Gespräch gekommen bin. Die Frau auf der Leiter ist gar nicht die Kirchendienerin, sondern Maria in Jeans und Rollkragenpulli, der Mann mit dem nackten Oberkörper kein Hausmeister, sondern der ungläubige Thomas, und die FSJlerin in Wirklichkeit die Heilige Veronika. Also doch wieder biblische Gestalten, „echte“ Heilige?

Das Altarbild hat große Begeisterung hervorgerufen, aber auch jede Menge Unmut. Das kann ich mir gut vorstellen, denn zwei Mal habe ich selbst miterlebt, was für einen Aufruhr umgestaltete Kirchenräume verursachen können. Ein fehlendes Kreuz war in meiner Kirche der Stein des Anstoßes. In Drolshagen hängt das Kreuz samt Corpus genau da, wo es hingehört. Stattdessen sind es die Menschen unterm Kreuz, die plötzlich Aufsehen erregen. Dass sie die Blicke und die Aufmerksamkeit auf sich ziehen, gefällt mir. Dass sie mich fragen: Woran erkenne ich eigentlich eine Heilige, wenn sie keinen Heiligenschein trägt? Und plötzlich brauche ich das Gespräch mit denen, die in der Tradition mehr zuhause sind als ich. Nur so kann ich nämlich erfahren, dass der Staubwedel auf dem Bild ein Gürtel ist und Veronika nicht malt, sondern ihr Schweißtuch bearbeitet und der ungläubige Thomas gerade sein altes Gemälde von Caravaggio zur Seite gestellt hat.

Kunst entsteht im Austausch mit anderen. Machen Sie sich selbst ein Bild davon!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33801
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