SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

03SEP2021
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„Am Abend dieses Tages…“ So beginnt in der Bibel eine Erzählung über eine besondere Bootsfahrt, die Jesus mit seinen Jüngern unternimmt.

Die Geschichte passt zur Lage der Kirche im Moment. Denn ich habe das Gefühl, dass es auch dort „Abend“ geworden ist. Die gute Nachricht von Gottes  Liebe und Nähe ist irgendwie verdunkelt – durch Skandale, scharfe Debatten, aber auch weil so viele frustriert sind. Und wenn es um die Zukunft der Kirche geht, höre ich meist düstere Prognosen. Es scheint Abend geworden zu sein in meiner Kirche.

In der Bibel heißt es, dass Jesus mit seinen Jüngern abends in ein Boot steigt und kaum sind sie unterwegs, kommt ein heftiger Wirbelsturm auf. Schnell macht sich Panik breit.

Und ich? Ehrlich gesagt: als Christin, die mit im Boot namens Kirche sitzt, kenne ich diesen Sturm nur gut.

Die Verbrechen des Missbrauchs, die tiefen Gräben und Kämpfe innerhalb der Kirche, berechtigte Vorwürfe von außen, aber auch Hass und Häme – all das drängt auf mich ein. Der Untergang der Kirche scheint unausweichlich zu sein. Und wie die Jünger, befürchte auch ich, dass wir untergehen.

In der biblischen Geschichte bringt Jesus den Sturm mit nur drei Worten zum Schweigen. Jesus sagt: „Schweig, sei still.“ Und augenblicklich kehrt völlige Ruhe ein.

Doch wenn es um die Stürme heute geht, z.B. den Missbrauch, dann ist Schweigen ja gerade nicht die Lösung. Im Gegenteil: Das Schweigen muss gebrochen werden. Die Opfer müssen zu Gehör kommen. So laut es nur geht. Also tobt der Sturm weiter.

Und mitten im Sturm überlege ich: Soll ich das sinkende Schiff vielleicht lieber verlassen? Wenn ich das Schiff Kirche nicht retten kann, dann doch wenigstens mich selbst.

Aber dann hätten Verbrechen, wie die des Missbrauchs, mich dazu gebracht, dass ich von Bord gehe. Und stattdessen diejenigen das Steuer übernehmen, die mit an dem schuld sind, was alles passiert ist. Ich finde: Genau umgekehrt muss es sein! Jetzt erst recht! Damit die Missbrauchstäter nicht das letzte Wort haben.

Jetzt erst recht bleibe ich in der Kirche und werfe mich mit ganzer Kraft in den Sturm, liebe und tue Gutes, so gut ich kann. Und ich sitze nicht allein im Boot. An jeder Seite wird entschlossen gerudert. Da sind so viele engagierte Christinnen und Christen, die dem Sturm trotzen. Mit ihnen kann aus dem Wirbelsturm ein Wind werden, der die Segel der Kirche neu mit Liebe füllt. Sodass das ganze Schiff eine neue und gute Richtung einschlägt.

Ich bleibe dabei, mitten im Sturm.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33751
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