SWR4 Abendgedanken

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01SEP2021
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„Für dich ist ja alles einfach, du glaubst an Gott.“

Das sagt Thomas und zwinkert mir dabei schelmisch zu. Thomas hat normalerweise wenig mit Kirche und Glauben zu tun. Seit einer halben Stunde sind wir heiß am Diskutieren. Als er mich fragt, warum ich für die Kirche arbeite, antworte ich ihm: „Ich arbeite für dir Kirche, weil ich darauf vertraue, dass Gott mich dorthin stellt, wo er mich braucht.“

„Ach…“, seufzt Thomas und dann kommt eben sein Satz: „für dich ist ja alles so einfach, du glaubst an Gott.“

Klar, Thomas will mich aufziehen, aber er meint es auch ernst.

Wir reden weiter und ich erzähle ihm, dass für mich nicht alles einfach ist, nur weil ich glaube. Im Gegenteil: Ich kämpfe so oft mit Gott.

In der Bibel, im Alten Testament, wird die Geschichte von Jakob erzählt. Wie er mit Gott in einen Kampf gerät. Jakob will in der Nacht einen Fluss überqueren und trifft dabei auf Gott, erkennt ihn aber nicht. Die beiden fangen an miteinander zu ringen und kämpfen die ganze Nacht. Erst als es wieder hell wird und die Morgenröte schon am Himmel steht will sich Gott schließlich losreißen. Aber Jakob merkt: dieser Kampf ist entscheidend. Er sagt zu Gott: „Nein, ich lasse dich nicht los, bevor du mich nicht segnest.“ Dann segnet Gott Jakob. Und jetzt erkennt Jakob, dass es Gott ist, mit dem er da in der Dunkelheit gerungen hat.

Auch ich ringe und kämpfe mit Gott, wenn es um mich herum dunkel wird: Wenn das Vertrauen, dass ich in eine Person gesetzt habe, enttäuscht wird. Wenn ein geliebter Mensch stirbt. Oder wenn eine gute Freundin mit ihren Depressionen kämpft und ich ihr nicht helfen kann.

Dann bete ich zu Gott und schlage mit meinen Vorwürfen wütend um mich. Aber ich lasse Gott nicht los. Gerade dann ist er besonders nahe. Weil ich ihn brauche, gerade jetzt. Und nach dem Kämpfen, am Ende der Nacht, kann ich ihn klarer sehen als zuvor.

Ob es mir gelingt, Gott mein Leben lang festzuhalten? Das weiß ich nicht. Aber ich hoffe es. Und ich hoffe, dass am Ende Gottes Segen steht. Ein Segen, der wie eine Hoffnung ist, die immer heller wird. Wenn Trauer zu Trost wird oder wenn ich wieder vertrauen kann und sei es nur ein bisschen. Das kann der Anfang von einem strahlenden Morgen sein. Und dafür lohnt es sich zu kämpfen.

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