SWR4 Abendgedanken

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30AUG2021
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Ich liebe es zu reisen. 

Die ganz großen Reisepläne mussten zwar auch in diesem Sommer noch in der Schublade bleiben, aber Wandern in den Bergen, die Füße in kühle Seen baumeln lassen und durch verschlafene Küstenstädtchen flanieren – das war diesen August wieder möglich.

Wohin die Reise geht, spielt für mich gar keine große Rolle. Reisen macht mich einfach glücklich. Ich glaube, das liegt vor allen Dingen daran, dass ich auf jeder Reise erstaunt über die Welt bin – darüber wie schön sie ist. Ich kann dann stundenlang auf Berggipfeln sitzen und den Ausblick bewundern. Die ganze Welt erscheint mir dann wie ein einziges Wunder. Manchmal verliere ich mich ganz darin.

Das haben Menschen schon immer so erlebt. Und Augustinus, ein Heiliger aus dem 5. Jahrhundert, hat seine Gedanken dazu aufgeschrieben. In seiner Biographie, den sogenannten „Confessiones“, heißt es: „Da gehen die Menschen hin und bestaunen die Gipfel der Berge, die ungeheuren Wogen des Meeres, das gewaltige Strömen der Flüsse, die Größe des Ozeans und die Kreisbahnen der Sterne, aber sie vergessen dabei sich selbst.“

Soweit Augustinus. Ich verstehe seine Worte so: Wenn man auf Reisen die Welt bewundert, kann es passieren, dass man dabei das größte Wunder aus den Augen verliert: sich selbst. All das, was ich denken und fühlen kann, meine Erinnerungen und Empfindungen – das nennt Augustinus den „unendlichen Innenraum“ und der stellt für Augustinus jeden Berggipfel in den Schatten. Alles, zu was wir Menschen fähig sind. Wir versöhnen, packen an, hören zu, träumen und spielen mit Gedanken, haben Mitleid oder finden Auswege. Und noch etwas:

Meine Urlaube und Reisen, sie gehen vorbei. Doch in meinem Innern bleiben sie lebendig. Ich muss nur die Augen schließen, dann kann ich das Meer riechen – fast so, als wäre ich wieder da. Dort, in den bunten Bildern meiner Erinnerungen und Gefühle, finde ich Ruhe und Kraft.

Der heilige Augustinus packt mir damit eine große Weisheit in den Reise-Koffer: So bewundernswert die Welt ist, sollen wir Menschen auch beim Reisen nicht vergessen, dass wir selbst auch bewundernswert sind.  

Denn eine erstaunliche Welt ist das eine. Aber wie muss erst das Wesen beschaffen sein, dass diese erstaunliche Welt bestaunen kann?

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