SWR1 Begegnungen

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08AUG2021
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Annette Schavan Foto: Laurence Chaperon

… und mit Annette Schavan. Vier Jahre lang hat die Theologin in der Herzkammer der katholischen Welt gelebt; sie war als Botschafterin beim Vatikan in Rom. Mittlerweile ist die Politikerin im Ruhestand und lebt in ihrer Wahlheimat Ulm. Dort treffen wir uns, mit Blick auf den Kirchturm des Ulmer Münsters. Ich möchte mit Annette Schavan darüber sprechen, wie sie die Zukunft der Kirche sieht. Bei so vielen skandalösen Nachrichten aus der katholischen Welt und immer weniger Menschen, die noch Mitglied in der Kirche sind. Sie muss es doch wissen, denke ich. Sie weiß, worauf es ankommt, und sie kennt die Gedanken von Papst Franziskus.

Und Annette Schavan ist tatsächlich zuversichtlich; aber: Von nichts kommt nichts. Sie verlangt eine andere Haltung, Schluss mit der Resignation, anstatt dessen sollen wir neugierig sein auf die Zukunft.

Wir reden vom Christentum wie von einer großen Idee der Vergangenheit, die nun peu à peu sich dem Ende zuneigt. Dem setz ich entgegen: Nein, diese Zeit hat genauso Zeichen der Geistesgegenwart, Zeichen der Gegenwart Gottes. Und das, finde ich, ist eine Grundhaltung, die wir brauchen. Nicht immer zu nörgeln über die Zeit, sondern zu sagen: Diese Welt zeigt uns auch, was unsere Berufung ist, was uns mehr interessieren muss.

 

Was uns zu interessieren hat, liegt eigentlich auf der Hand. Annette Schavan nennt nur zwei Stichworte: Menschenwürde und unser Umgang mit den Ressourcen. Das eigentliche Problem dabei: 

 

Was wir über unsere Werte sagen, passt schon lange nicht mehr zu dem, was wir tun.

 

Und deshalb ist für sie noch ein anderes Stichwort wichtig. Es braucht einen Perspektivwechsel. Das kann zum Beispiel bedeuten, an die Ränder der Gesellschaft zu gehen. Genau darauf hat Annette Schavan sich selbst ganz konkret eingelassen. Sie hat in einem Jahr mitgeholfen beim festlichen Weihnachtsessen für Flüchtlinge.

 

Es waren Familien darunter, die erst vor kurzem in Rom angekommen sind. Das war Begegnung an der Peripherie, und sie hat mich tief bewegt. Es ist eine ungewöhnliche Weihnachtserfahrung gewesen und ich habe verstanden, was der Papst meint mit der Kraft der Peripherie. Ja, nicht immer in den Kathedralen, nicht immer in den Zentren, sondern da, wo das verletzte Leben, wo das ausgeschlossene Leben, wo die gefahrvolle Wirklichkeit ist - da bekomme ich ein Gespür für das, was uns bewegen muss, was uns beschäftigen kann.

 

Warum die ehemalige Bundesministerin sich sicher ist, dass Kirche und Theologie für eine ganze Gesellschaft notwendig und bereichernd sind, darüber spreche ich mit ihr im zweiten Teil der Begegnungen.

 

 

Teil 2

 

Annette Schavan ist Politikerin im Ruhestand, aber noch längst keine Theologin im Ruhestand. Während viele vom Niedergang der Kirchen sprechen, ist sie vom Gegenteil überzeugt: Die Kirche hat eine Zukunft!

Es gibt keinen Grund, so eine Tristesse zu verbreiten. So eine Traurigkeit, dass Einfluss verloren gegangen ist. Es ist ein Kairos, ein günstiger Moment für die Theologie. Der Papst hat gesagt, Theologie ist ein kulturelles Laboratorium. Kann also beitragen dazu, kritisch zu befragen: Wo müssen wir neue Wege gehen? Wir haben Erfahrungen, Grenzerfahrungen gemacht. Und wenn jetzt, nach dieser Zeit der Pandemie, es nicht Aufbruch auch in der Christenheit gibt, Aufbruch in den Kirchen gibt - ja wann soll es ihn dann geben?

 

Beim Stichwort Aufbruch denke ich an die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre. Die kenne ich nur vom Hörensagen. Annette Schavan erzählt mir davon. Welche Stellung Theologieprofessoren zu dieser Zeit in der Gesellschaft hatten, das beeindruckt mich:

 

Damals gingen Mediziner, Juristen, auch Politiker zu solchen Professoren und haben ihren Rat gesucht. Haben versucht, ihre Themen mit Ihnen zu besprechen. Und das glaube ich muss wieder so ein Anspruch sein, dass wir uns nicht auf uns zurückziehen und sagen, es ist genug, wenn wir irgendwie zurechtkommen, sondern: gibt es für uns eine Sprache, eine Überzeugungskraft in die Gesellschaft hinein, in die junge Generation hinein.

 

Das heißt, für mich: Kirche lebt dann, wenn Menschen ihr zuhören, weil es sie betrifft.

Das Interessante für die Menschen ist nicht das, was der Kirche fehlt, sondern ob die Kirchen mit ihrem Schatz - und ihr größter Schatz ist die Botschaft, was denn sonst, nicht die Kirchensteuermittel, was sie mit dieser Botschaft will.

 

Aber was genau meint Annette Schavan mit „dieser Botschaft“? Was steckt da drin, dass sie zum Schatz für Menschen werden kann?

 

Ich finde eine der größten Botschaften für die Christen stehen: Der Gott, an den wir glauben, ist Mensch geworden und er leidet mit uns. Er ist ein mit-leidender Gott. Er ist nicht der Gott, der auf Knopfdruck unsere Probleme löst. Aber es ist eine starke Solidarität, eine starke Empathie, ein starkes Mitleiden, das uns zugesagt ist und zu dem Glauben der Christen gehört, dass du nie alleine bist, dass, wie schwierig die Situation auch ist, wie sehr dich Menschen ablehnen, es einen gibt, der immer zu dir steht.

 

Dass ich mich auf diese Botschaft verlassen kann, tut mir gut. Trotzdem denke ich: Diese Zusage darf nicht nur von der Kanzel herunter gepredigt werden, sie muss gelebt werden; sonst bleibt der Schatz verborgen - da bin ich mit Annette Schavan einig.

Die Kirche der Zukunft gibt Menschen die Chance, Erfahrungen zu machen. Nicht Belehrung und Akademisierung oder auf der anderen Seite Banalisierung, auch das gibt es ja längst, sondern Erfahrungen machen, die einen Zugang zu diesem Schatz ermöglichen. Erfahrungen zu machen, was Leben nach der Osterfreude bedeutet.

 

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Annette Schavan „geistesgegenwärtig sein – Anspruch des Christentums“, Patmos

https://www.kirche-im-swr.de/?m=33715
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