SWR2 Wort zum Tag

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04AUG2021
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Petra und Andreas stehen unter Schock. Sie haben alles verloren – gefühlt wenigstens. Das Auto hatte er gerade noch in Sicherheit gebracht. Zurück ins Haus watete er schon bis zur Hüfte im Wasser. Das kleine Flüsschen Ahr, sonst weniger als einen Meter hoch, sollte in der Nacht noch anschwellen auf beinah acht Meter.

Aber wir leben, sagt Petra, Tage nach der Flut. Keller und Erdgeschoss waren bis zur Decke vollgelaufen. Sie konnten sich ins Obergeschoss retten. Am schlimmsten wird sein, dass so viele Menschen ihr Leben gelassen haben in der Flut.

Abgeflossen war das Wasser fast so schnell, wie die Welle gekommen war. Paar Tage danach habe ich geholfen, den Keller auszuräumen. Komplette Verwüstung – oder wie nennt man das bei so viel Wasser. Kästen, Truhen, Regale, bis zur Decke angefüllt mit – ja mit was: Für uns waren das Sachen; einfach nur Sachen – und sicher unbrauchbar, für immer. Bücher, gesammelte Zeitschriften, Karnevals-Orden und JunggesellenPokale; Schuhe, mehrere Geschirr-Services, Klamotten und und und.

Für Petra und Andreas viel mehr als einfach nur Sachen – da fand sich Omas letzter Reisepass – und ein Fotoalbum aus Opas Jugendzeit. Bei ganz wenigen Teilen haben wir sie dann noch gefragt, ob sie das mühselig reinigen und aufheben wollen. Aber die Erinnerungen an die alten Zeiten würden ja alles wieder aufwühlen; und an die Katastrophe, die das alles vernichtet hat… Also lieber weg damit – und ganz neu anfangen, vielleicht an einem anderen Ort; das wird schwierig genug mit über siebzig.

Eins habe ich gelernt bei diesem Hilfe-Einsatz: Sachen können wichtig sein; sie erinnern mich, halten alte Zeiten und vor allem liebe Menschen irgendwie lebendig. Wichtiger – und sogar in Feuer und Wasser unvergänglich – wichtiger bleiben die Spuren, die Menschen in meinem Herzen hinterlassen haben. Ihre Liebe, ihre Stimme, der Streit und die Versöhnung zwischen uns; ein freundliches Wort, der entscheidende Schubs in die richtige Richtung – oder einfach nur der Geruch von frischem Brot in Mutters Küche: sowas alles bleibt und verbindet uns – auf ewig.

Petra und Andreas und viele viele andere werden vermutlich noch lange brauchen, bis das für sie stimmt. Familien und Freunde werden sie dabei stützen – und unser Gebet und eine Zuversicht, die sich auf Gottes Liebe verlässt – trotz allem.

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